© Holger Bergmann 2015 - 2020

Charles S. Campbell: Anglo-American Understanding 1898 - 1903

Beim Studium der Quellen stößt man  zwangsläufig auf die "Quellen der Quellen". Dabei erscheinen manche Titel für die hier verfolgte Zielrichtung vielversprechend. Die bisherige Betrachtung hat für das zum Ersten Weltkrieg wesentlich führende britische Handeln ab etwa 1895 eine Abhängigkeit vom amerikanischen Handeln gezeigt.

 

Da es ab 1898 zu einem kongruenten, aggresiven Ausgreifen der angelsäch- sischen Mächte kommt und Campbell den in Frage kommenden Zeitraum abdeckt, lag die Vermutung nahe, mit Hilfe seines Werkes sozusagen die Angel- sachsen mit dem berühmten "rauchenden Colt" in der Hand zu erwischen. Was im vorligenden Fall bedeutet, die beiden Transatlantiker hätten sich untereinander abgesprochen bzw. die Amerikaner hätten die Briten unter Druck gesetzt, was den Burenkrieg und das (mittelbar zum Russisch-Japanischen Krieg führende) Bünd- nis der Briten mit Japan betrifft.

 

Um es vorweg zu nehmen, ganz so einfach macht es Campbell dem Leser nicht. Es ist wohl wie mit dem Gegeister der zu vernichtenden "deutsch-russischen Chimäre" im britischen Regierungsapparat. Die  Niederlegungen des vom Histori- ker auszuwertenden diplomatischen Schriftverkehrs ergeben nicht wörtlich ein derartiges Ansinnen.

 

Was, wie in der sonstigen Betrachtung auch, nicht bedeutet, dass es nicht exis- tiert hat. Denn eindeutig lassen sich aus Campbell zwei Dinge herauslesen: ein- mal ein so außerordentlich gutes Verhältnis der beiden Mächte, dass es schon mehr als merkwürdig ist. Und die Tatsache, dass Großbritannien in den verbliebe- nen zu regelnden nord- und mittelamerikanischen Angelegenheiten mit geringsten Ausnahmen, die nicht einmal die Bezeichnung "Kosmetik" verdienen, nichts mehr zu melden hat.

 

Gehen wir nun in die Betrachtung der einzelnen Phasen. Campbell beginnt mit einer  Besonderheit, die man als die transatlantische Variante von "Tu felix Austria nube" ansehen könnte: Verbundenheit wird schon auf privater Ebene dadurch er- zeugt, dass britische Adlige und Spitzenpolitiker (zu der Zeit sind sie ja häufig noch beides)   Töchter aus reichen bzw. superreichen oder wenigstens einfluss- reichen Familien heiraten. Beispielsweise heiratet der Herzog von  Marlborough die Milliardärstochter Consuelo Vanderbilt und kann dadurch seinen Blenheimpa- last finanzieren, Lord Randolph Churchill die wohlhabende Jenny Jerome (der Verbindung entsprang neben anderen Kindern Sohn Winston, der damit zur Hälfte Amerikaner ist), der britische Botschafter ab 1902 Sir Michael Herbert  Leila Wilson aus der Verwandtschaft der Vanderbilts, Joseph Chamberlain Mary Endi- cott, deren Vater Verteidigungsminister unter Cleveland gewesen war (außer po- litischen Verbindungen sind die Mädels bzw. ihre geldaristokratischen Familien of- fensichtlich auf die Adelstitel scharf).

 

Es mangelt auch nicht an öffentlichen Verbundenheitsbekundungen:

Von britischer Seite sind diese besonders zur Gelegenheit des Spanisch-Amerika- nischen Krieges 1898 auffällig. Beispielsweise melden sich derart viele Briten frei- willig zum Dienst in den amerikanischen Streitkräften, dass die amerikanische Botschaft eine Bewerbungen entmutigende Erklärung veröffentlichen muss.   Zu den britischen prominenten Politikern, die eine "anglo-amerikanische Wieder- vereinigung" befürworteten, zählten (hier nur die aufgeführt, die aus der sonstigen Darstellung bekannt sind)  Joseph Chamberlain, Balfour, Campbell-Bannerman, Asquith, Grey, Rhodes,  der Schriftsteller Conan Doyle, Adlige, Kirchenleute und viele andere.  Rosebery wird sogar mit der "Indiskretion" zitiert, "man müsse ein weiteres Mal die Neue Welt ins Leben rufen, um die Alte auszubalancieren". Und natürlich fehlt auch Salisbury nicht, der in der Guildhall die amerikanische Macht als  "den britischen Interessen dienlich" bezeichnet.

Dazu noch zwei Farbtupfer:

Beim  der militärischen "Märzparade auf der Salisburyebene" wehen die "Stars and Stripes" am Salutierpunkt direkt neben der königlichen Flagge, dem Union Jack und der britischen Kriegsschiffsflagge.

Bei  der "Lord Mayor's Parade", einer Art Karnevalsumzug in London, wird unter anderem ein "Boot"  mitgeführt, das auf der einen Seite die Aufschrift "E Pluribus Unum" (= "Aus Vielen wird Eins", das amerikanische Staatsmotto) trägt, auf der anderen steht "Blut ist dicker als Wasser". An Deck reichen sich die Symbolfigu- ren "Britannia" und "Columbia" die Hand. Die Sternenbanner überdeckten alle an- deren Flaggen in London.  Die Aufzählungen könnten weiter fortgeführt werden.

 

Ähnliches passiert auf der anderen Seite des Atlantiks. Botschafter Pauncefote und sein Zweiter Sekretär Tower registrieren  ab Anfang 1898 eine bemerkens- werte Änderung in der amerikanischen Haltung, von Anglophobie zur  über- schwänglichen Zuneigung zu Großbritannien und den Briten im allgemeinen. Texte, Gedichte, Lieder und Illustrationen zur "Anglo-Amerikanischen Allianz" ma- chen einen überwältigenden Eindruck auf die britischen Diplomaten.  Clevelands Außenminister Olney, der die Briten in der Venezuela-Affäre 1895 noch in die Mangel genommen hatte, bezeichnet jetzt Washingtons Abschiedsadresse als überholt und die Briten jetzt als "beste Freunde". Queen Victorias 79. Geburtstag wird enthusiastisch gefeiert, und im amerikanischen Armeehauptquartier in Tampa [wegen der Invasion Kubas so weit im Süden] hängen Sternenbanner und Union Jack  Seite an Seite. Auch diese Aufzählung ist nicht erschöpfend.

 

Britische Position zum Spanisch-Amerikanischen Krieg:

Dass die o.a. Sympathiekundgebungen  etwas anderes als abgesprochen sein sollen, ist bei  allem Überschwang schwer zu glauben. Dabei war das Verhältnis der beiden Mächte bis 1895 nicht ohne Konflikte gewesen. Die Amerikaner begannen den Krieg gegen Spanien nur wenige Wochen, nachdem Deutsche und Russen den Chinesen ihre Positionen im Norden des Landes verbriefende Abkommen aufgenötigt hatten. Nach traditioneller Auffassung hätte sich Großbritannien jetzt gegen die rücksichtslosen Amerikaner stellen müssen. Dem war, siehe oben, aber völlig anders, und das lag an nichts anderem als an der gefährdeten britischen Weltposition. Was Großbritannien sich noch aussuchen konnte, war, von wem es sich abhängig machen wollte, von den Kontinen- talmächten, mit denen es entweder in kolonialen Gegensätzen herzlich verbunden war (Frankreich, Russland)  bzw. die gefährlich aufstrebten (Deutschland), oder den kulturell verbundenen USA. Da fiel die Wahl nicht schwer, nachdem der amerikanische Botschafter in London Hay und der einflussreiche Senator Henry Cabot Lodge entsprechende Angebote gemacht hatten.

 

Aus diesen Details geht auch eindeutig hervor, dass es beim Spanisch-Amerika- nischen  Krieg in Wirklichkeit um China ging, bzw. um die  Möglichkeit für die Amerikaner, mit Hilfe des neuen Stützpunkts auf den Philippinen bei Bedarf auf dem asiatischen  Festland eingreifen zu können. An einem Punkt widerspreche ich Campbell allerdings, der für das amerikanische Interesse an China vor allem wirtschaftliche Gründe anführt. Diese haben sicher auch eine Rolle gespielt, aber gewiss keine ausschlaggebende. Denn nach der russischen Niederlage im Krieg gegen Japan interessierte das Schicksal Chinas im Westen so  gut wie nie- manden mehr. Das kurzzeitig heftige amerikanische Interesse an China war demnach geostrategisch bedingt.

 

Die britische Haltung zu diesem Konflikt hatte durchaus auch praktische Konse- quenzen. Als nach der Maine-Katastrophe die Botschafter der Kontinentalmächte in den USA unter Veweis auf die spanische Konzessionsbereitschaft einen Friedensappell an die US-Regierung starten wollten, baten sie den britischen Botschafter Pauncefote  um Mithilfe. Dieser konnte sich aufgrund seiner Position als Dekan (= dienstältester) der Botschafter seinen Kollegen nicht verschließen, sandte aber den Entwurf zur Genehmigung nach London. Balfour, der den er- krankten Salisbury vertrat, verhinderte einen möglicherweise entscheidenden Fehler Pauncefotes und verbat jede britische Mitwirkung an dem Ansinnen. Da nur eine gemeinsame europäische Deklaration die geringste Chance gehabt hätte, die USA zu beeindrucken, war die Sache vom Tisch. Wenige Tage später traten die USA in den Krieg ein.

 

 

Manila-Ereignis:

Das Aufeinandertreffen deutscher und amerikanischer Kriegsschiffe  stellt sich bei Campbell anders dar als in den bisher zitierten Quellen (auf die schwierige Basis wurde hingewiesen). Dass es nach Campbell zu keinem Schulterschluss zwi- schen amerikanischen und neutralen, insbesondere britischen Schiffen kam, dürfte aber eher dem lauen deutschen Zugriff geschuldet sein als der mangelnden Bereitschaft, den Deutschen entgegenzutreten. Dewey hat demnach Diederichs später sogar "freundschaftliches Verhalten" bescheinigt, also haben sich die bei- den Admirale nicht einmal persönlich gestritten. Dennoch ist die Version vom gemeinschaftlichen Auftreten laut Campbell nicht totzukriegen, auch Jahre später hat sie einer von Deweys Offizieren noch zum Besten gegeben. Dass die Deutschen keine Auseinandersetzung, in welcher Form auch immer, riskierten, liegt nahe. Das isolierte deutsche Ostasiengeschwader hätte sich bestenfalls für den Moment durchsetzen, aber nicht auf Dauer philippinischen Boden halten können. Unvorbereitet, wie sie waren, wurden auch hier die Kontinentalmächte wie beim "Murawiew-Plan" völlig auf dem falschen Fuß erwischt.

 

 

Britische Position zur amerikanischen Annexion der Philippinen:

Großbritannien ermutigte die USA, sich die Philippinen einzuverleiben. Botschaf- ter Hay notierte, die britische Regierung wäre enttäuscht, wollten die USA die In- seln nicht behalten. Insbesondere ein spanisches Anerbieten an London, Manila selbst zu okkupieren, lehnte Salisbury "wisely" ab. Für Großbritannien war die amerikanische Präsenz in der Nähe Chinas wesentlich wichtiger als weiterer eige- ner Besitzgewinn. Ein Gerücht, Deutschland würde Großbritannien zur gemeinsamen Opposition gegen die amerikanischen Pläne auffordern, wurde von Salis-bury eilig zerstreut. Deutschland wäre die britische Freundschaft für die USA wohl bekannt, betonte er.

Die Sache hat noch ein Nachspiel. Der amerikanische Regierungsbeauftragte F. W. Holls sprach in London vor und behauptete, Deutschland hätte eine Philippine gefordert, außerdem erwartete Russland Entgegenkommen in Zollfragen. Könnte Großbritannien nicht einen Deal mit Deutschland bezüglich einer Insel machen und im Gegenzug auf seine aus dem so genannten Clayton-Bulwer-Vertrag resul- tiernenden Rechte in Mittelamerika verzichten?

Britischerseits konnte da nichts schnell entschieden werden. Immerhin handelte es sich um eine loose-loose-Situation für Großbritannien! Das Holls-Ansinnen hatte dann auch keine weiteren Konsquenzen, außer einem Brief von Holls an die britische Regierung mit dem Inhalt, dass die USA in Ostasien nichts ohne briti- sche Zustimmung unternehmen würden. Deutschland dagegen bekommt nichts, außer durch britische Fürsprache und gegen tiefe und langdauernde Verpflichtun- gen... Offensichtlich wollte man amerikanischerseits nur die Briten ein wenig er- schrecken, nur um sie dann wieder mit dem Hinweis auf die gemeinsame Ostasi- enpolitik zu beruhigen, ihnen aber auch klar zu machen, sie sollten den Amerika- nern bei deren Panamakanalprojekt nicht im Weg stehen.

 

 

Britische Position zur amerikanischen Annexion Hawaiis:

Was die Briten mit Hawaii zu tun hatten, kann sich auch nur aus geostrategischen Überlegungen erklären. Jedenfalls ermutigten sie die Amerikaner genauso zur Okkupation dieser Inseln wie zu der der  Philippinen, weil das den Weg über den weiten Pazifik erleichterte. Ein deutsches Ansinnen von 1897, Großbritannien solle sich der amerikanischen Annexion der Inseln widersetzen, hatte Salisbury zurückgewiesen.

 

 

Amerikanische Position zum Burenkrieg:

In einer Situation, in der der Großteil der zu dieser Zeit schlecht gerüsteten britischen Armee weit entfernt vom Mutterland gebunden ist, spielen den Briten nicht nur bereits bekannte Faktoren (Flottenüberlegenheit, geographische und klimatische Bedingungen Afrikas, deutsche Zurückhaltung) in die Hände. Mit ent- scheidend ist auch die amerikanische Unterstützung. Bei der gegenüber dem europäischen Kontinent isolierten britischen Position hätten die Amerikaner die Briten an ihrem Vorgehen in Südafrika hindern können. Aber die amerikanische Regierung und viele Kongressmitglieder sympathisierten mit Großbritannien.  "Die Wärme und Freundlichkeit von Präsident und Kabinett ist sehr ausgeprägt" schreibt Pauncefote erleichtert an Salisbury. Pauncefotes Kollege auf der anderen Seite des Atlantiks Hay wird alsbald amerikanischer Außenminister und be- freundet sich engstens mit Pauncefote. Campbell schildert Hay als ähnlich deutschfeindlich, wie wir es von einer großen Zahl britischer Diplomaten der Fol- gejahre kennen, was auch Hays Abneigung gegen die Buren "erklärt". Als nach der Ermordung McKinleys ein neuer Präsident mit dem niederländisch klingenden Namen Roosevelt ins Amt kommt, machen sich die Buren Hoffnungen auf einen amerikanischen Kurswechsel. Aber nichts dergleichen passiert.

Da die USA in Südafrika keine speziellen Interessen haben, kann auch hier nur die mit der britischen übereinstimmende geostrategische Überlegung die amerika- nische Position bedingt haben.

 

 

Amerikanische Position zum britisch-japanischen Bündnis:

Die Amerikaner beurteilten den Vertrag "im Ganzen günstig", wie Campbell sich ausdrückt. Für Hays Nachfolger als Botschafter in London Choate  stellt er "eine großartige Festigung unserer Politik der Offenen Tür" dar (was "Offene Tür" ei- gentlich heißt, wird in der nächsten Buchbesprechung noch deutlich). Für die Briten sind die Amerikaner praktisch dritte Vertragspartei. Aus den von Campbell angeführten britischen Stimmen, die  unisono die Interessengleichheit der angel- sächsichen Mächte betonen, möchte ich beispielhaft  die Campbell-Bannermans zitieren (der ja eigentlich außenpolitisch desinteressiert ist), und der die  "Ähnlich- keit der friedlichen handelsmäßigen und anderen materiellen [also nicht-fried- lichen und nicht-handelsmäßigen, gemeint können nur geostrategische sein] Interessen  zwischen England, Japan und den Vereinigten Staaten" hervorhebt.

 

 

Amerikanische Position zur Mandschurei:

Da Japaner und Russen 1904/05 um dieses Gebiet kämpften, ist  die amerikani- sche Position dazu besonders interessant. Bereits 1900 wollten die USA dort den Russen  entgegentreten, kurzfristig reichte es aber nur zu einem diplomatischen Schritt. Hay war daher zunächst vom deutsch-britischen Abkommen über China begeistert, sicherten sich die beiden europäischen Mächte darin doch die Unver- sehrheit chinesischen Territoriums und das Prinzip der  Offenen Tür gegenseitig zu. Nicht schlecht geschockt war Hay bald darauf, als er bemerkte, dass die Mandschurei auf deutschen Wunsch hin vom Abkommen ausgeschlossen war, damit auch ein  Entgegentreten Deutschlands und Großbritanniens gegen Russ- land dort. Das Argument, dass die Mandschurei für den amerikanischen Handel besonders interessant war, überzeugt ohne weitere Nachforschungen nicht.  Je- denfalls wurde 1903 Roosevelt dann "Jahr um Jahr immer sicherer, dass dieses Land [seines, die USA] mich unterstützt, wenn ich in dieser Angelegenheit ins Extreme gehe." Ein weiterer Beleg dafür, dass die USA 1905 in den Krieg ein- gegriffen hätten, hätten die Russen nicht aufgegeben.

 

 

 

 

Erkenntnisse zur Venezuela-Aktion bei Campbell:

Bei dieser Aktion, die letzten Endes nur dazu führte, Deutschland  an den Pranger zu stellen, möchte man nach der Lektüre Campbells fast schon eine amerikani- sche Falle vermuten. Bereits beim  Samoa-Streit 1899 hatten Großbritannien und die USA "jeden Anschein einer engen Kooperation" gegeben, obwohl  nach Hay der deutsche Verhandlungsführer konziliant, der  britische aber  hochnäsig war.

Dennoch mutierte Deutschland für die Amerikaner in der Folge immer mehr zur "schwarzen Bestie". Noch in seiner Zeit als Vizepräsident hatte Roosevelt die Europäer eingeladen, südamerikanischen Staaten im Fall  deren Fehlverhaltens den Hintern zu versohlen. Die Monroe-Doktrin könnten sie dabei nur dann verletzen, wenn sie sich Gebiete aneignen wollten.

Nach dem (bekanntermaßen unzuverlässigen) deutschen Geschäftsträger in Lon- don Eckardstein geht die Aktion auf einen Vorschlag des britischen Diplomaten Villiers zurück. Der deutsche Botschafter in den USA Holleben hatte  Pläne zur Aktion im Detail vorgelegt; weder  der Präsident noch der Außenminister hatten Einwände.

Dennoch führte die Aktion dazu, das Ansehen Deutschlands in den USA beträcht- lich anzuschwärzen, was auch auf Großbritannien abfärbte. Ein Memorandum  Lansdownes im Zuge der etwa ein Jahr zuvor sich ereigneten deutsch-britischen Bündnisüberlegungen machte die britisch-amerikanischen Beziehungen    als erhebliches Hindernis geltend (was die britische Abhängigkeit von den USA verdeutlicht).  So sehr müssen sich im Fortgang der Aktion Anfang 1903 britische Regierungsvertreter bemühen, das  besondere Verhältnis zu den USA zu betonen, dass man fast schon eine Regierungskrise aufgrund negativer amerikanischer Stimmen vermuten möchte. Jedenfalls bescheinigt Roosevelt den Briten im Nachhinein, sie hätten sich in Venezuela schlecht benommen.

Den Briten wurde durch die Aktion und die amerikanische Reaktion,  wenn sie es sowieso nicht schon wussten, folgendes deutlich gemacht: wer in der amerikani- schen Hemisphäre das Sagen hat, wer im amerikanisch-britischen Verhältnis das Sagen hat, und dass sie von einer Kooperation mit Deutschland tunlichst die Finger lassen sollten.

 

 

Die Lösung der nord- und mittelamerikanischen Diskussionspunkte:

Dass Großbritannien für sein Wohlverhalten gegenüber den USA keine Beloh- nung erhält, wundert nach den obigen Ausführungen nicht.  Nach dem spanisch-amerikanischen Krieg gliedert das damalige Hochzolland USA die annektierten  Gebiete in sein Tarifsystem ein und ruiniert den bis dato lukrativen britischen Handel mit ihnen.  In den mittelamerikanischen   Kanalverhandlungen kann Groß- britannien nichts außer entschädigungslos zurückweichen.  Lodge, einer der Hauptprotagonisten des US-imperialistischen Ausgreifens und (s.o.) der Koope-ration mit Großbritannien, verhindert die Ratifizierung des eigentlich fertigen Neu- fundlandabkommens. Auch in der  Frage der Grenzziehung zwischen Kanada und Alaska geht Großbritannien praktisch leer aus, nachdem Roosevelt zwischenzeit- lich sogar über Gewaltmaßnahmen nachgedacht hatte,  sollten die Briten in der sich hinziehenden  Alaskafrage nicht parieren. Großbritannien erhält nur die zwei größeren Inseln im so genannten Portland-Kanal an der äußersten Südgrenze Alaskas. Die zwei ganz kleinen, in  jeder Hinsicht völlig bedeutungslosen Inseln am äußersten Beginn des Kanals müssen auf Initiative Lodges als amerikanische Machtdemonstration unbedingt an die USA gehen. Die Aufzählung ist nicht ab- schließend.

 

 

Die "Large Policy":

Was wir hier beobachten, ist das Phänomen der "Large Policy", des imperialen Ausgreifens Amerikas und der Begründung seiner Weltgeltung unter Benutzung Großbritanniens. Als Hauptprotagonisten nennt  Campbell Roosevelt, Lodge und den Seemachtstheoretiker und Geostrategen Kapitän  A. T. Mahan, auf den in einer eigenen Buchbesprechung eingegangen wird, da er die Large Policy auch ideologisch untermauert.

Dazu gehört  natürlich die chinesische Motivation für den Spanisch-Amerika- nischen Krieg, die Campbell deutlich macht.  Einem britischen Diplomaten erklärte Mahan die Wichtigkeit Chinas, und dass die USA in der Auseinandersetzung um die  chinesischen Märkte eine führende Rolle einnehmen müssten (lassen wir uns vom Begriff "Märkte" nicht täuschen, wie oben ausgeführt, werden wirtschaftliche Motive immer wieder vorgeschoben).

Die letztliche Begründung für die amerikanische Vorgehensweise ist dabei genau dieselbe wie die britische.  Im Fall einer britischen  Niederlage (im Burenkrieg !!), prophezeite Roosevelt, würden sich die USA innerhalb von fünf Jahren mit ande- ren europäischen Staaten im Krieg befinden, soweit sie nicht einverstanden sind, die Monroe-Doktrin für Südamerika aufzugeben [und in dem Fall ergäbe sich die Gefährdung der USA von Süden her]. Sicher hatte Roosevelt hier Frankreich und Österreich-Ungarn weniger im Sinn (oder vielleicht doch ein wenig, historisch bedingt durch deren Eingreifen in Mexiko während der Lähmung der USA durch den Bürgerkrieg).

Moralische Bedenken werden dabei hintangestellt. Sogar der sozialkritische de- mokratische Präsidentschaftsbewerber Bryan verweigert sich einer Resolution zugunsten der Buren, weil man dann den Amerikanern ihr Verhalten gegenüber den Filipinos vorwerfen könnte.  Die Kriege bringen die angelsächsischen Mächte einander näher, und eine französische Zeitung konstatiert düster "Anglo-Saxonia contra mundum" (das zu einem Zeitpunkt, als die Angelsachsen das französische und russische blinde Aggressionsbedürfnis noch nicht für ihre Zwecke einge- spannt hatten).

Das alles hat Konsequenzen, die man nicht vergessen darf, wenn man sich mit den Jahren nach 1903 befasst.  Die USA goutierten auch die entstehende Enten- te cordiale, und der deutsche Geschäftsträger in London vermerkte einen  US-bri- tisch-französischen "Dreibund". Selbst wenn die USA in der sich auf Europa kon- zentrierenden Entwicklung kaum noch auftreten, haben sie doch die für die Einkreisungspolitik  gegen Deutschland und Österreich-Ungarn notwendige Rück- endeckung für Großbritannien gestellt und sind im Hintergrund weiter präsent.

 

Auch wenn der letzte Nachweis fehlt, dass die Amerikaner ab etwa 1895 die Briten ferngesteuert haben: sie  hatten die Mittel dazu, sie hatten das Motiv dazu, und über die zahllosen bekannten, siehe oben, und zu vermutenden verborgenen Gelegenheiten braucht man nicht zu diskutieren.

 

 

 

<Nachträgliche externe Einfügung 13.07.2016>

Über den von Campbell bearbeiteten Zeitraum hinaus sind Belege für eine brit- isch-amerikanische Zusammenarbeit nur für den russisch-japanischen Krieg und die Erste Marokkokrise einfach zu finden. Insbesondere liegt die Balkanhalbinsel, wo sich die Krisen nach 1907 konzentrieren, aufgrund räumlicher und perspektivi- scher Entfernung außerhalb des Focus der USA. Für Nachweise einer "Koopera- tion im Stillen" fehlen üblicherweise die Aufhänger.

Anstelle der Beobachtung echter  Kooperation  könnten auch Schlüsse aus Äuß- erungen dahingehend gezogen werden, dass bei einer Änderung seiner Politik Großbritannien den Verlust der Basis dieser Kooperation, und damit ihrer Errung- enschaften, zu fürchten hat. Im Rahmen der Ersten Marokkokrise schrieb Grey,  "...had Germany forced war on France, Britain should have gone to her aid. Were Britain not to, we should be isolated and discredited…hated by those whom we had refused to help, and despised by others." Der Autor des  einschließenden Textes stellt fest, acht Jahre später hat sich an dieser Situation nichts geändert.

Wer sind nun diese  others, wenn man Russland 1914 unter die zu subsummieren hat, denen Großbritannien helfen muss? An bedeutenden Staaten können hier doch nur die USA gemeint sein!

 

Dabei kann die Fortsetzung einer Kooperation über den Zeitraum ihrer Vereinba-  rung hinaus angenommen werden, solange keine Beweise für ihren Abbruch auf- tauchen. Von einer Trübung des innerangelsächsichen Verhältnisses bis 1914 ist nichts bekannt (die üblichen Spannungen im täglichen Geschäft sagen da eher das Gegenteil aus). Dass sich die angelsächsiche Zusammenarbeit im Grunde gegen Russland richtet, wird an wiederholt überraschender Stelle der Welt deut- lich: Durch den Hay-Pauncefote-Vertrag musste Großbritannien sich weniger aus Mittelamerika zurückziehen, als es das vielmehr konnte, um sich auf europäische Gegner zu konzentrieren. Gleichzeitig überließ es die Kontrolle über das entspre- chende Seegebiet den USA, die den Bau des Panamakanals [Fertigstellung 1914, also weit nach dem Ende des Russisch-Japanischen Krieges] und die dadurch mögliche Flottenverschiebung nutzen konnten, um ein Gegengewicht zu russi- schem Druck zu bilden.

Charles S. Campbell, Jr.: Anglo-American Un- derstanding, 1898 - 1903, The Johns Hopkins Press, Baltimore 18 Md, USA, 1957.

Campbell gehört zu den Quellen von Grenville (dieser erstmalig zitiert in "1890 - 1897").

Die Übersetzungen aus dem englischen Origi- nal sind von mir selbst.

 

Zum Verständnis der Ereignisse ist die Kennt- nis des Unterkapitels "1898 - 1907" aus "Vom Gleichgewicht zur Einkreisung" notwendig.

 

 

 

 

 

 

 

<Nachträgliche Einfügung 12.05.2016>

"Wörtlich" nicht, aber dass die Chimärenfurcht

als solche existierte, zeigt die folgende Buch-

besprechung "Wormer". Unten folgende Aus-

führungen ergeben sogar eine amerikanische

Version davon!

 

"Amerika repäsentiert "unsere Seite" im großen Spiel der Welt" (eine britische Zeitung 1898), S. 28.

"Die Unterstützung durch die USA wäre für Großbritannien lebensnotwendig. Ohne diese müsste das Land, wenn es von einer Kontinen- talkoalition angegriffen wird, kapitulieren", schreibt im selben Jahr der Historiker Brooks

Adams (S. 24).

 

 

Transatlantisch-aristokratische Eheschließung- en S. 8f. Campell nennt bis 1903 etwa 70 Hei- raten zwischen geadelten Briten und Amerika- nerinnen, bis 1914 stieg die Zahl auf 130.

 

 

 

Der Palast wurde nicht errichtet, sondern reno-

viert. <Präzisierung 04.04.2018>

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verbundenheitsdemonstrationen britischerseits S. 42ff. Freiwilligmeldungen S. 43.

 

 

 

 

 

Politiker-, Prominenten- und Anglikanerstimmen S. 44, Freikirchler S. 43.

Roseberys Form von Gleichgewichtspolitik [die, siehe nächste Buchbesprechung, in Wirklich- keit das genaue Gegenteil ist] S. 44f, Salisbury S. 45.

 

 

Paraden S. 45f.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verbundenheitsdemonstrationen amerikani- scherseits S. 49f.

 

 

 

 

 

Olney, Königinnengeburtstag und Armeehaupt- quartier S. 50.

Washington hatte den USA in einem Zeitungsar-

tikel 1796 Neutralität empfohlen. <eingefügt 04. 04.2018>

 

 

 

 

 

 

 

Zum Spanisch-Amerikanischen Krieg S. 25ff.

 

 

Chinesische Abkommen mit Deutschland und Russland S. 16.

 

Diese Überlegung S. 25.

 

 

 

Hierzu siehe oben und S. 26: "Amidst such peril she [Großbritannien] could not afford to alienate from America". S. 16: Einflussreiche Personen aus beiden Ländern denken über eine gemein- same Politik nach. S. 16f: Furcht vor einer Ver- ständigung zwischen den Kontinentalmächten. Angebote S. 17ff.

 

 

S. 21: Zusammenhang zwischen dem Krieg und

der US-Position auf dem asiatischen Kontinent. laut damaligem Außenminister Day. Amerika be-

gann den Krieg mit Spanien einen Monat, nach-

dem China Kiaotschou und Port Arthur abgetre- ten hatte.

Die Begründung mit Handelsinteressen wird im- mer wieder strapaziert, etwa von Senator Cush-

man Davis (S. 16) oder Mahan (S. 160).

Gegen den Zerfall des chinesischen Kaiser- reichs, dem Fall weiter Gebiete an die Japaner bzw. die Sowjets und letzten Endes des Landes an die Kommunisten gab es aus dem Westen keine Opposition, die die Bezeichnung verdient.

 

 

Versuch einer Friedensdeklaration der Kontinen-

talmächte S. 33ff., deren Unterdrückung durch Balfour S. 34ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manila-Ereignis S. 53f.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Persönliche Schlussfolgerungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hierzu S. 41 (inkl. Hays Notiz), S. 161. Spani- sche Offerte an Salisbury, Gerücht und Salis- burys Reaktionen S. 42.

 

 

 

 

 

 

 

Holls-Vorschlag nach Kriegsende (September 1898) S. 120ff.

 

 

 

 

 

 

Holls-Brief S. 123.

 

 

 

 

 

Persönliche Schlussfolgerung.

 

 

 

 

Zu Hawaii S. 42.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Amerikanische Position zum Burenkrieg S. 171ff, S. 171 auch Erwähnung Murawiews und antibritischer Koalitionsgerüchte, ds. unzurei- chende britische Vorbereitung.

 

 

 

 

 

 

Pauncefotes Brief S. 171f, Hays Aufstieg S. 128,

deren persönliches Verhältnis S. 126: "Hay hatte keinen Verbündeten außer Pauncefote. Paunce- fote schleppte ihn durch", so der Historiker Hen- ry Adams, ein Verwandter von Brooks (s.o.). Charakterisierung Hays S. 172. Die Gemein- samkeiten zwischen Deutschen und Buren, wenn man von absurden "rassischen" Üb- erlegungen absieht, beschränkten sich auf ge- meinsame Anwesenheit im Süden Afrikas.

Burische Überlegung und deren Frustration S. 172f.

Hay hatte durch seine Heirat mit einer reichen Frau beste Verbindungen zur Geldaristokratie (S. 163).

 

 

 

Amerikanische Beurteilung des Vertrags gene- rell und Choates speziell S. 255, ds. "dritte Par- tei" und britische Stimmen. Sir Henry Campbell-Bannerman, britischer Premier 1905 - 1908,

wird im Hauptteil in "Kriegsgeständnisse" er- wähnt. Die Annahme seiner und des Autors Ab- stammung aus dem schottischen Campbell- Clan liegt nahe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Amerikanisches Ansinnen S. 202.

 

Hays anfängliche Freude und folgender Schock S. 203.

 

 

 

 

 

Amerika führte die Liste der Exporteure in die Mandschurei an, S. 13. Dennoch gehört dieses Argument m.e. zu den vorgeschobenen Han- delsinteressen. Die Stellung Chinas als Welt- handelsmacht mit essentieller Bedeutung für die Angelsachsen ist ohne nähere Untersuchung unglaubhaft.

Roosevelts Äußerung S. 326.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zu Samoa S. 151, Hays Geständnis S. 156, ds. Deutschland "bête noire".

 

 

 

Roosevelts Aufforderung zuzuhauen S. 270, keine Verletzung der Monroe-Doktrin S. 270f.

 

 

 

Eckardstein (u. dessen Beurteilung) taucht im Hauptteil in "Alternativen" auf. Seine Aussage zu Villiers S. 271. Hollebens Vorlage und Reaktion der amerikanischen Regierung S. 271f.

 

 

 

 

Lansdownes Memorandum (in "Alternativen nicht im Detail erwähnt, da bei Grenville (dort S. 362) keine "amerikanischen" Vorbehalte zitiert werden, das Memorandum führt nur zum "Vor- schlag des sehr eingeschränkten Vorschlags") vom November 1901 Anm. 21 S. 275f.

Sehr bemühte britische Beschwichtigungsver- suche S. 295f. Grey (zu dem Zeitpunkt noch nicht im Amt) geißelt die Konservativen für die Pflege guter Beziehungen zu Deutschland auf Kosten derer zu Amerika (S. 296).

Roosevelts hinterhältige Äußerung S. 300.

 

Persönliche Schlussfolgerungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Amerikanische Zollpolitik S. 58ff.

 

Kanalprobleme beispielsweise S. 238f.

Lodges Aktivität S. 267f.

 

 

 

Grenzprobleme beispielsweise S. 149f, S. 257f. Diese und die Kanalprobleme sind für das bi- laterale Verhältnis sehr wichtig und nehmen bei Campbell natürlich breiten Raum ein, sind für unsere Überlegungen aber nur am Rande inte- ressant. Auf S. 327f. wird Roosevelt gedanklich aggressiv.

Anmaßung durch Lodge (und ihm verbundene andere Politiker) S. 339ff.

 

 

 

 

 

"Large Policy" und deren Repräsentanten S. 10.

 

 

 

Zu Mahan S. 159f.

Hierzu oben bereits ausführlich argumentiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Äußerung Roosevelts S. 180. Hier also nichts anderes als die amerikanische Variante der guten, alten deutsch-russischen Chimäre!

 

 

 

 

 

 

 

 

Bryans Äußerung ebenso S. 180.

 

Angelsächsische Komplizenschaft S. 183.

Französische Pressestimme (1898) S. 48.

 

 

 

 

 

Amerikanische Stellung zur Entente cordiale und deutsche diplomatische Stimme, die nichts anderes als eine Einkreisung Deutschlands unter Einschluss der USA konstatiert, S. 326.

 

Schlussfolgerung, nicht nur persönlich (s.o.).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siehe auch gleichgerichtete Überlegungen im Hauptteil "Kriegsgeständnisse", Buchbespre- chung "Mahan" (jeweils nahe Schluss) und "Wormer" ("Isolationsfurcht").

 

 

 

 

 

Aus Alexander Stewart, http://www.e-ir.info/2011/07/31/how-effective-was-the-foreign-policy-of-sir-edward-grey-1906-14/. Die dortige kurze Analyse genügt m.e. zum Verständnis der Greyschen Politik nicht. Hervorhebung nicht im Original.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus Steven E. Lobell, The Challenge of Hege- mony. Grand Strategy, Trade, and Domestic Politics, University of Michigan Press, 2009, S. 71.

Vertragsabschluss Ende 1901 Campbell, S. 327.

Wörtlich übersetzt, Hervorhebung nicht im Ori- ginal.