© Holger Bergmann 2015 - 2020

Alfred Thayer Mahan: The Problem of Asia and Its Effect Upon International Policies

Wie kommt man auf Mahan?

 

Jeder, der sich mit imperialistischer Seekriegsstrategie beschäftigt, wird irgend- wann zwangsläufig auf Alfred Thayer Mahan stoßen, gilt dieser doch als einer der wichtigsten Vordenker dieser Richtung. Tiefergehende Erkenntnisse müssen aus dieser Begegnung nicht resultieren, und sind für unsere Betrachtungen hier weni- ger wesentlich. Aber Mahan taucht auch noch in anderen Zusammenhängen auf.

 

Beispielsweise bei Michael Salewski. In "Die Deutschen und die See", Bd. I, S. 17, heißt es: "... -  es gibt genügend Indizien dafür, dass sich die Deutschen in ihrem kontinentalen Jahrhundert  mehrfach darauf vorbereitet haben, neben der größten Landmacht auch die bedeutendste Seemacht zu werden, kurzum ein Weltreich nach den Maximen Mackinders und Mahans gründen zu können."

 

Salewski nennt hier  Halford Mackinder, auf dessen "Herzland-Theorie" bereits eingegangen wurde, und Mahan in einem Atemzug. Während sich eine Besprechung der "Herzland-Theorie", mit der Mackinder die deutsch-russische Chimäre sehr plastisch beschreibt, aufgrund m.e. ausreichender Darstellung in Wikipedia erübrigt,  Mahan aber  in seinem dortigen Eintrag außer als  See- kriegstheoretiker auch als Geostratege bezeichnet wird, war die Frage die, ob sich aus seinen Veröffentlichungen Details der angelsächsischen Vorgensweise her- auslesen lassen, die anderweitig nicht bekannt sind.

 

Nachdem Mahan auch in der Besprechung von Campbell zu den Thematiken "Large Policy" und "China" auftritt und das hier zu behandelnde Buch mit einem einschlägigen Titel aufwartet, war eine nähere Beschäftigung damit unumgäng- lich. Die damit verbundenen Erwartungen hat das Buch jedoch, soviel sei voraus- geschickt,  nicht ganz erfüllt.

 

 

Was sollte Mahan liefern?

 

Es wäre natürlich auch im Falle Mahans der Coup gewesen, ihn mit einer Art "rau- chendem Colt" in der Hand zu erwischen, also mit einer Erklärung oder Fundie- rung der amerkanischen Expansionsstrategie mit explizit in den Ersten Weltkrieg (oder sogar darüber hinaus) führenden Konsequenzen. Aber man darf Mahan nicht überfordern.  Weder ist Mackinder der Kopf hinter der britischen Strategie, noch ist Mahan der hinter der amerikanischen (vermute ich zumindest). Mahan ist auch kein Prophet, der alle Entwicklungen genau vorhersehen kann. Deshalb sind die nach  der Lektüre von Mahans Buch offenen Punkte, die im Anschluss folgen, auch offen zu lassen.

 

 

Was liefert Mahan nicht?

 

Zunächst muss man feststellen, dass das Buch sehr aus der Perspektive des Er- scheinungsjahres 1900 geschrieben ist, ein Jahr, in dem Boxeraufstand und Bur- enkrieg laufen. Natürlich liefert auch Mahan keinen Plan, er formuliert sogar selbst, dass es keinen gibt, sondern nur eine Abfolge von Notwendigkeiten.

 

 

 

 

Auffällig ist, dass Deutschland für Mahan kein Feind ist (die Verteufelung Deutsch- lands im britischen Foreign Office startet konsequent ja auch erst um 1900), son- dern unter die Mitglieder der "teutonischen Rasse" (das sind weiter die USA, Großbritannien und, im weitesten Sinne, Japan) gezählt wird, mit entsprechend konvergierenden Interessen. Europäische territoriale Veränderungen werden nicht erwartet, also garantiert keine Vorwegnahme des Ersten Weltkriegs. Unausge- sprochen findet aber im Laufe des Buches eine Distanzierung von Deutschland statt, indem Mahan nur noch die amerikanisch-britische Allianz betont und Deutschland nicht mehr erwähnt.

Dennoch lässt Mahan den Samoa-Disput unter den Tisch fallen, es gibt auch kei- nerlei Chimärenfurcht vor einer möglichen deutsch-russischen Verbindung. Es gibt nichts zu Österreich-Ungarn (die Donaumonarchie wird nicht ein einziges Mal an- gesprochen) und nichts zum (Asien benachbarten) Balkan. Wenig verwunderlich ist Mahans Schweigen zur Niederschlagung des philippinischen Aufstands.

 

 

Was sind Mahans Kernaussagen?

 

Vergegenwärtigen wir uns, dass wir uns hier zu Beginn der amerikanischen Ex- pansion (über den nordamerikanischen Kontinent hinaus) befinden. Dass das erst der Anfang ist, sozusagen Geschichte im Embryonalstadium, formuliert Mahan selbst. Zugunsten der USA kann angeführt werden, dass jede amerikanische Schwäche sofort fremde Mächte auf den Plan rufen würde, die sich in Nordame- rika einmischen könnten (siehe das französisch-österreichische Eingreifen in Mexiko während der Lähmung der USA durch den Bürgerkrieg). Expansion und Seemacht gehen dabei Hand in Hand.  Die Antillen, Kuba und der mittel- amerikanische Isthmus (mit dem sich in einer stagnierenden Bauphase befind- lichen Panama-Kanal) und Hawaii zählen so als defensive Außenposten, deren fremder Besitz negative Einflüsse ausüben könnte, dem muss vorgebeugt werden (die Philippinen kann man darunter natürlich nicht subsummieren).

 

Von den (ohne Vorwort) 233 Seiten seines Buches widmet Mahan 203 der Situ- ation in Asien, die immerhin restlichen 30 der Rechtfertigung des Burenkriegs (bei dem die USA ja offiziell neutral sind). Das  asiatische Gebiet von Interesse siedelt Mahan zwischen dem 30. und 40.  Grad nördlicher Breite an. Dort befinden sich, an den Flanken des schwer zugänglichen zentralen Gebirgsknotens, zwei alte  Reiche, die sich dem Tiefpunkt ihrer Machtentfaltung nähern (der dann in den 20er Jahren eintreten sollte): die Türkei und China. Es liegt nahe, dass diese in- stabilen, aber bislang nicht aufgeteilten Gebiete das besondere Interesse der expansiven Mächte auf sich ziehen.

 

Ein durch einen "unangemessenen Nutznießer" auszufüllendes Machtvakuum, oder anders ausgedrückt, die unzulässige Vorherrschaft eines feindlichen Okku- pations- oder Einflusssystems in wichtigen Teilen der Welt, wie den oben ange- sprochenen, können die USA nicht dulden. Ein Eingreifen innerhalb Europas liegt zwar noch außerhalb des US-amerikanischen Horizonts, aber auch dort kann ein radikaler Wechsel im  Mächtegleichgewicht den USA nicht egal sein.

 

Interessant ist, welchen Wandel in dieser Zeit, und auch direkt in Mahans Schrift, die eigentlich auch als Selbstbeschränkung der USA gedachte Monroe-Doktrin durchmacht. Wird zunächst die Okkupation der Philippinen, infolge Ausgreifens  über die amerikanische Hemisphäre hinweg, als Aufgabe der Monroe-Doktrin beklagt, wird sodann ihre Gültigkeit auf wechselseitige Einmischung in europäi- sche bzw. amerikanische Angelegenheiten eingeschränkt. Sie gilt nicht für Ge- biete, für die es noch keine "endgültige Feststellung" gibt (der asiatische Rest des spanischen Kolonialreichs fiel offensichtlich unter diese Sortierung).   Die For- derung nach "offener Tür" in China gilt Mahan dann als "identisch mit der Monroe-Doktrin".

 

 

Mahan lässt keinerlei Zweifel daran, bei wem es sich um den Hauptkontrahenten handelt, und zwar sowohl in geographischer als auch in ideologischer Hinsicht, nämlich um Russland.  Die  Einstellung gegenüber den USA und  das Temp- erament der Völker bestimmen ihre Beziehungen zu den USA. Russland zählt als verbindender Faktor zwischen den beiden oben angesprochenen Flanken. Aufgrund seiner Hafenferne ist es gezwungen, genau in diesen Gebieten aktiv zu werden.  Diese von Russland ausgehende Gefahr ist aber auch eine Chance: während das russische Kernland nicht angegriffen werden  kann [außer, man setzt den "Richtigen" dagegen an...], ist Russland zwar an diesen Flanken über- mächtig, aber auch diversionsanfällig [Diversion = Angriff auf feindliche Peri- pheriegebiete].  Dabei stellt sich nur die Frage, wer Russland in diesen Flanken packen kann?

Russland wird auch als handelspolitisch exklusiv geschildert, d.h. es monopolisiert den Handel in den Gebieten, die es unter seine Kontrolle bekommt. So kommt es nach Mahan aus den unterschiedlichen Nationalcharaktern heraus, darauf auf- bauend gegensätzlichen politischen Institutionen, zwangsläufig zu einem Konflikt.

 

Den Russen in den Weg stellen sollen sich die "teutonischen" Staaten. Zu diesen zählt Mahan die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, und auch, im weitestesten Sinne, Japan. Mahan verwendet hier einen heute verpönten, damals aber sehr geläufigen "Rassebegriff".  Die "Rasse", die auch eigene Eigenschaften haben kann, ist dabei eine der "Nation" übergeordnete, größere Gruppe.

Aus den gemeinsamen Eigenschaften ergeben sich so gemeinsame Interessen. Nicht zufällig handelt es sich dabei auch um die "Flankenmächte". Als Motiv wird wieder der unbehinderte Handel vorgeschoben. Deutschland im Besonderen soll sich exkludierender Kontrolle widersetzen, da es keine Chance hat, selbst eine solche zu errichten. Frankreich steht, als Verbündeter Russlands, auf der anderen Seite. Aber die Flankenmächte überwiegen die russisch-französische Kombinati- on maritim, und die japanische und die deutsche Armee sitzen, in fünftausend Meilen Entfernung, an den russischen Seiten. Jetzt wäre demnach der bevorzug- teste Moment für Deutschland, am angelsächsischen Ineinandergreifen teilzuneh- men.

 

 

Natürlich ist auch Mahan der britisch-russische Gegensatz über Indien geläufig. Indien besitzt allerdings unangreifbare "Hinterflanken", so lange die (britische) Seemacht existiert.

Nach Mahan würde die Aufgabe für Russland, im Persischen Golf eine gegen Großbritannien und dessen Verbündete ausreichende Flottenkonzentration  zu unterhalten, die russischen Möglichkeiten überfordern und zu einer Aufgabe des Schwarzen oder des Chinesischen Meeres führen.  Im letzteren Bereich, [zu der Zeit] "spot of greatest interest in the world" (Boxeraufstand), können andere Mächte keinem für sie gefährlichen Arrangement zustimmen. Die herausgehobe- ne Bedeutung Chinas aufgrund seiner Ausdehnung, seines unsicheren Status  und seiner zukünftigen wirtschaftlichen Bedeutung wird unterstrichen.

Ein militärisches Eingreifen auf chinesischem Boden  gestaltet sich für die sich in weiter Entfernung angesiedelten Seemächte USA und Großbritannien wie auch für das sich näher befindliche, aber in Bevölkerung [im Vergleich zu China] und wirtschaftlicher Grundlage eingeschränkte Japan als schwierig. Die Hauptgrund- lage, der Handelsinteressen der "Teutonen" wie der Chinesen gegen  Fremdherr- schaft, ist demnach die "teutonische" Seemacht. "Open door" muss nötigenfalls auch mit Militärmacht erzwungen werden. Einzeln sind die Seemächte jedoch von diesem "gigantischen Schema" überfordert. Gemeinsam können die "vier" See- mächte [Deutschland offensichtlich eingeschlossen] einen "Vormarsch aus dem Norden" aber ernsthaft behindern.

 

Die andere Flanke, die Levante, liegt zum betrachteten Zeitpunkt zwar noch auß- erhalb US-amerikanischer Aktivitäten, aber nicht außerhalb amerikanischer Auf- merksamkeit. Denn das "Gleichgewicht in der Levante" kann den Vereinigten Staaten nicht egal sein, geht doch schließlich die kürzeste Verbindung von der US-Ostküste zu den Philippinen [der Panamakanal ist ja noch nicht verfügbar] über den Suezkanal.

Für die Verbindung nach China gilt dasselbe für  Großbritannien und Deutschland, deren Chinapolitik sich "natürlich" mit der der USA im Gleichklang befindet.   Eine russische Präponderanz über die Levante können Großbritannien und Deutsch- land jedenfalls nicht dulden. Nur sollte der Seestratege Mahan eigentlich wissen, dass Deutschland nie über eine dauerhafte Flottenpräsenz im östlichen Mittel- meer verfügte. Überlegungen, auch Deutschland müsse ein Interesse an der Sicherung der maritimen Verbindungslinien  nach China haben, mangelt es dem- nach an praktischer Konsequenz. Etwas weniger unrealistisch [im Nachhinein aber nicht weniger absurd erscheinend] ist da der  "entscheidende Machtfaktor"  von Deutschlands Dreibundpartner Italien im Mittelmeer. Die "mediterranen Inte- ressen" von Deutschland, Großbritannien und Italien fallen nach Mahan zusam- men, während sich zwischen den "english-speaking nations" und Italien zu [dem mit Russland verbündeten] Frankreich ein "mediterraner Gegensatz" ergibt. Mahan sieht Italien schon durch seine "proteutonische" Positionierung zu "neuer römischer Größe" aufsteigen, während ein Wiedererstarken der Türkei  erheb- lichen Einfluss auf die Ost-West-Verbindungslinien ausüben würde.

 

Bei aller beschworenen  "teutonischen" Gemeinschaftlichkeit lässt Mahan aber keinen Zweifel daran, wem die amerikanische Verbundenheit wirklich gilt.  [Nur] Angelsachsen sind politisch frei,  zur Selbstregierung fähig, und zäh gesetzestreu. Jeder neue amerikanisch-britische Gegensatz beruhte auf einem unnatürlichen Fremdeinfluss. Die Beziehungen aufgrund gemeinsamer Traditionen und Inter- essen würden  dabei in ihrer potenziellen Machtentfaltung ein formelles Bündnis weit überflügeln.  Jeder sieht den anderen gern an Stärke zunehmen, und Mahan sieht Großbritannien als "Benefaktor der Menschheit".

Dass der Spanisch-Amerikanische Krieg und der Burenkrieg die beiden Mächte, und zwar gegen den Rest der Welt, zusammengeschweißt haben, formuliert auch Mahan. Und dass ersterer Krieg (für den Burenkrieg gilt natürlich dasselbe, s.u.) in einem größeren Zusammenhang zu sehen ist, gibt Mahan offen zu, jedoch beschreibt er nicht, in welchem [den geneigten Lesern dürfte er bekannt sein], er deutet nur mit "several events, nearly simultaneous" das kongruente angel-sächsiche Ausgreifen ab 1898 an. Die Einschränkung des britischen Militärs aufgrund des Burenkriegs für Einsätze in Ostasien ist Mahans Version der Verbin- dung der Weltschauplätze.

Großbritannien hat nach Mahan zum Auftakt des Spanisch-Amerikanischen Krie- ges nicht nur eine Koalition der europäischen Mächte gegen die USA verhindert, er will sogar aus sicherer Quelle wissen, dass Großbritannien, wäre eine solche Koalition dennoch zustande gekommen, aktiv dagegen Widerstand geleistet hätte.

 

Mit den Phillippinen haben sich die USA einen (vor Russland) sicheren Stützpunkt verschafft. Nur, dass sie die Inseln angeblich unfreiwillig an sich genommen hab- en, ist schon etwas starker Tobak. Wer sollte die USA denn dazu gezwungen hab- en? Deutschland? Immerhin, Japan, das noch die Annexion Hawaiis [wohl als ge- gen sich gerichteten Akt] missverstanden hatte, sieht nun den US-Besitz der Phi- lippinen richtig, nämlich wohlwollend [garantiert deshalb, weil den Japanern der gegen Russland gerichtete Hintergrund einleuchtet].

 

Den wortreichen moralischen und völkerrechtlichen Begründungen Mahans zum Spanisch-Amerikanischen und zum Burenkrieg muss hier kein  breiter Raum gegeben werden, sie seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Da das Buch herunterladbar ist, mag der interessierte Leser sich vielleicht selbst ein Bild machen. Eine Rechtfertigung für anderweitig nicht zu begründende Aggres- sionshandlungen zu konstruieren gehört, seit öffentliche Medien Regierungs-handeln beurteilen, mit zum Geschäft.

 

 

Worum es beim Burenkrieg auch noch, oder anders ausgedrückt: wirklich, geht, auch darüber lässt Mahan uns nicht im Unklaren. Der permanente strategische Wert Südafrikas ist Mahan geläufig. Der Burenkrieg ist britische imperiale Pflicht, das Kap davonziehen zu lassen würde gar zur Auflösung des Empire führen. Denn die Rüstungsanstrengungen Transvaals hätten, im Fall einer imperialen Ver- legenheit, eine dortige Revolte nach sich ziehen [und damit die strategische angelsächsische Position am Kap zerstören] können. Gewürzt wird das ganze noch durch die Aussage, hier könnte an die  Stelle  der britischen eine nieder-ländische Herrschaft treten. Als ob die "Mindermacht" (Neitzel) Niederlande eine Möglichkeit des Ein- bzw. Ausgreifens gehabt hätte.

Wer wirklich gemeint ist, aber aus Gründen der Stimmigkeit der o.a. "teutonischen Verbundenheit" nicht offen benannt werden kann, wird an anderer Stelle deutlich: sollten die Niederlande irgendwann  auf die Idee kommen, sich dem Deutschen Reich anzuschließen, dann soll aber bitte nicht auf Curaçao ein deutscher befes- tigter Flottenstützpunkt eingerichtet werden. Ich frage mich, ob je ein deutscher Militärtheoretiker auf so einen Gedanken gekommen ist. Vermutlich kann solches nur einem amtlich-amerikanischen Paranoiker wie Mahan einfallen. Die Niederlan- de könnten jedenfalls nur mit deutscher Hilfe bzw. von Deutschland vorgeschoben in Südafrika aktiv werden. "Holland scare", die Zwangsvorstellung von der Inbe- sitznahme der englischen Gegenküste durch Deutschland oder der Bemannung deutscher Schiffe durch Niederländer (deutsche Landratten schienen dazu im 19. Jahrhundert nicht in der Lage) trieb britische Politiker häufiger um. Hier sehen wir offensichtlich eine globale Version davon.

 

 

Inwieweit kann vermutet werden, dass Mahan die US-Strategie bis heute beein- flusst?

 

Dass Mahan  auch heute noch von amerikanischen Nachwuchsstrategen rezipiert wird, kann gut möglich sein.  Die Tatsache, dass außenpolitische Kenntnisse in den USA eher gering verbreitet sind (es haben schon US-Präsidenten Bolivien und Brasilien verwechselt, beim Staatsbesuch dort), beklagt bereits Mahan. Und dass unsere Weltsupermacht keine Fortschritte auf dem Weg zur Weltherrschaft machte und macht, ist ein, besonders bei Kritikern der USA, häufig außer acht gelassener Fakt.

 

Der Vergleich der USA mit der antiken Weltsupermacht Rom geht daher fehl. Denn Rom verfiel nach Mahan der Korruption, nachdem es seinen Rivalen Karthago  vernichtet hatte.  In die gleiche Richtung gehen  die Aussagen "Healthy politics will need an opposition of parties" und "...without recognized rival to stimu- late it in the struggle for existence, and so to preserve it from stagnation and con- sequent decay,...", mit dem zweiten Beispiel der unhaltbaren Zentralisierung des Reiches Karls des Großen und der Folge  des unvermeidlichen Auseinander- brechens nach dessen Tod. Es lebe demnach die Zwietracht, und man floriert nicht ohne Konflikte. Ob der Schluss zulässig ist, dass selbige zu diesem Zweck angezettelt wurden und werden, mag der Leser eigenständig beurteilen.

 

Das herausragende Mittel,  um politische Ergebnisse zu erzielen, ist, und da stim- me ich Mahan jenseits aller moralischen Bedenken uneingeschränkt zu, der Krieg. Die militärische Aktion ist dabei nur eine Sonderform der politischen. Mahan geht sogar so weit, "politisch" und "friedlich" als Gegensätze  zu verwenden. China konnte bis dato immer nur mit Gewalt zum Handel gezwungen werden, und dass "open door" nötigenfalls auch mit Militärmacht  erzwungen werden muss, sahen wir bereits oben. Dafür macht Mahan,  wie ich es sehe, ordentlich Dampf.

Dass die USA für ihre Ambitionen eine Zweiozeanflotte brauchen, ihr Gewicht entscheidend sein dürfte, und auch die USA den Begriff der "inneren Linie" ken- nen und auf ihre Situation anwenden, sind weitere einschlägige Gedanken und Formulierungen Mahans. Und den Gedanken, dass die Wohlfahrt der europäi- schen Zivilisation auf dem Atlantik basiert, haben die USA in den Weltkriegen er- folgreich umgesetzt.

 

Der Gerechtigkeit halber sei angeführt, dass bei Mahan auch friedliche Gedanken vorkommen.  Ein Recht auf gesundes Wachstum wird allen Nationen [zumindest allen imperialistischen] zugestanden. Nur wird leider die dafür zur Verfügung ste- hende Fläche immer kleiner. Dass der durch die "natürliche Selektion" ausgelöste Kampf "kultürlich" durch Beratung und Übereinkunft vermieden werden kann, entspricht nach Mahan eher den Anforderungen der Zeit.

 

Beschließen wir die Betrachtung Mahans mit dessen Gedanken zu China. Uto- pisch ist die Vorstellung innerchinesischer Vielfalt durch vielfältige außerchinesi- sche Einflüsse. Bei den o.a. (schwierigen) Eingriffsmöglichkeiten geht es Mahan auch um die Beeinflussung Chinas selbst, "open door" wird auch in moralischer Hinsicht gefordert. Interessant ist  die Warnung Mahans vor einem neu erstarkten, aber selbstbezogen-abschließenden China. Ein solches China wäre gefährlich. Damit hat Mahan das moderne  China vorausgesehen.

 

 

Das für unsere Betrachtungen Interessanteste an Mahans Buch ist, dass es über- haupt geschrieben wurde. Denn nach dem Russisch-Japanischen Krieg geriet der "spot of greatest interest in the world" schnell aus dem internationalen Blickfeld. Innerhalb von 10 Jahren nach Erscheinen von Mahans Buch, mit der russisch-ja- panischen Konvention von 1910, war "open door" erledigt. Großbritannien und Frankreich erhoben nur symbolische Einwände, von einer amerikanischen Reak- tion ist nichts bekannt. Großbritannien begrüßte natürlich die russisch-japanische Zuneigung [damit sich Russland auf Europa konzentrieren konnte].

China zählte demnach nur vorübergehend und nur als Boden, auf dem die "Ein- schienung" Russlands Richtung Europa vorgenommen werden konnte. In der Fol- ge ließ man China erst auseinanderbrechen, dann zu großen Teilen an die Japa- ner und später fast ganz an die Kommunisten fallen. Das kommunistische China bekämpfte man erst westlicherseits ideologisch und in Form des koreanischen und des vietnamesischen Stellvertreterkriegs auch ansatzweise militärisch, bis man es zum wirtschaftlichen Partner und darauf aufbauend  zum heutigen größten Rivalen der USA aufsteigen ließ. Ist hier Mahans Vision einer, wenn auch stets gefährlichen und unangenehmen, Koexistenz von "Rom"  und "Karthago" verwirklicht?

 

Geschichte im Embryonalstadium - treffender als Mahan kann man es nicht aus- drücken. Das gilt auch, als ein "Feindbild Deutschland", für das es hier nur zartes- te Andeutungen gibt, erst aufgebaut werden muss. Die Venezuela-Aktion  zwei Jahre nach Erscheinen von Mahans Buch sollte hierfür eine mit entscheidende Rolle spielen. Es wäre interessant herauszufinden, inwieweit die USA die weitere Entwicklung der Tripel-Entente und der zum Ersten Weltkrieg führenden Ereignis- se bewertet und begleitet (bzw. beeinflusst) haben.  Da hierzu nichts Spektakulä- res bekannt ist, dürfte entsprechende Informationen nicht leicht zu finden sein.

 

 

Nachsatz:  US-Expansion aus Furcht vor Italien?

 

Auf S. 215 nennt Mahan ein mir zuvor unbekanntes Ereignis.  In New Orleans waren "some years ago"  italienische Bürger gelyncht worden, genauere Details sind bei Mahan nicht zu finden. Die Nachforschung führte über den rechts ange- gebenen Link zum Wesentlichen: einem Mafiakrieg der Jahre 1890/91. Entweder hatte Italien mit Eingreifen gedroht, oder amerikanische Paranoiker hatten das so halluziniert.

Die Vorstellung, italienische Schlachtschiffe hätten in die Mississippimündung dampfen und New Orleans in Schutt und Asche legen, dabei zuvor auf dem romanisch (nach dem o.a. "Rassen"-Begriff) verbundenen, noch spanischen Kuba Kohlen fassen können, hat damals vielleicht eine Rolle gespielt.

Dazu heißt es im Link gegen Schluss:

"Deutlich wird, dass die USA zu diesem Zeitpunkt keine Chance gegen die italienische Kriegsmarine, die damals drittgrößte der Welt, haben. Als Kon- sequenz wird die US Navy aufgebaut, die nur ein Jahrzehnt später einen wichtigen Anteil am Sieg im Spanisch-Amerikanischen-Krieg 1898 haben wird und auch für den Aufstieg der USA zur militärischen und wirtschaftlichen Weltmacht von immenser Bedeutung ist."

Tatsächlich starten wenig später die allerersten Ansätze der amerikanischen Expansion mit der Absetzung der letzten Königin von Hawaii 1893.

Alfred Thayer Mahan: The Problem of Asia and Its Effect Upon International Policies. Little, Brown and Company, Boston 1900.

Das Buch steht im Internet als E-Book zur Ver- fügung: https://archive.org/details/problemofasiaand005885mbp.

Übersetzungen des englischen Originaltextes

stammen von mir selbst.

 

 

Salewski s. "Great Game". Salewski belegt sei- ne These nicht, sie ist m.e. auch anderweitig nicht belegbar. Überhaupt macht Salewski öfter eher den Eindruck eines Erzählers als eines Historikers.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S. dort.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mahan sieht wohl eine Art Naturgesetzlichkeit, "permanent unterliegende Fakten und Faktoren" (S. VII (römische Nummerierung des Vorworts)),

"Wo sie ["die Entwicklung", 1 Satz vorher] her- kommt oder hinführt, wissen wir nicht, aber sie ist vorhanden.", S. 4f. "..., as emergency suc- ceeds emergency, ...", S. 75.

 

Den Beginn dessen darf man mit dem amerika- nische Interessen nicht treffenden deutsch- britischen Chinaabkommen von 1900 (s. Buch- besprechung Campbell, u. zu S. 144f) und die gescheiterten deutsch-britischen Bündnisge- spräche (zuletzt 1901) in Verbindung bringen (s. "Alternativen"). Keine Veränderungen in Europa S. 131, 159, 191.

 

 

 

 

 

 

Was die Behauptung einer Kriegführung aus Gründen der "simple humanity" (S. 142f) ad ab- surdum führen würde.

 

 

 

 

Anfänge des amerikanischen Expansionismus, ebenso kolonoiales Ausgreifen der europäi- schen Staaten, S.4.

"... - history in embryo -...", S. 9.

 

Fremde Mächte S. 6.

 

 

"Sea power, however, is but the handmaid of expansion, its begetter and preserver", S. 7.

 

Außenposten S. 8.

 

 

 

 

 

 

Lokation und Einschätzung der dortigen Proble- matik als "at once perplexing and imminent", S. 21.

 

 

Dort nirgends stabiler Zustand, aber ehrgeizige Nachbarn, S. 22.

 

 

 

"Unduly, preponderant usufruct" S. 35, dem zeit-

nah entgegenzutreten ist. "Undue preponderan- ce of an inimical system of occupation or influ- ence", S. 100.

 

Position zu Europa S. 17.

 

 

 

 

 

Eine offensichtlich von Mahan nicht geteilte, sondern nur referierte Sichtweise S. 12f.

 

Klarstellung durch Mahan S. 14f.

 

 

Auffassung von "open door" als Gemeinschafts- interesse gegen ausländische Beherrschung, Einverleibung oder Aufteilung Chinas, eine "im Grundsatz" mit der Monroe-Doktrin identische Politik, S. 188.

 

 

 

Zu Einstellung und Temperament S. 17f.

Enorme russische Ausdehnung, S. 24.

Hafenferne S. 44, 117.

Russische Vormarschlinien Persischer Golf und Gelbes Meer S. 25.

"...the Russian centre can not be broken," S. 26.

 

Strategische Lage Russlands S. 47f.

Diversion S. 48. Flankenvordringen Russlands S. 55, -schwäche ds., S. 48f.

Andeutung zu den in Frage kommenden Staaten

S. 55f.

Vorwurf der Exklusion an Russland S. 45.

Unvermeidlichkeit des Konflikts und deren Be- gründung S. 74.

 

 

 

Bezeichnung der USA, Großbritanniens und Deutschlands als "teutonisch", S. 104. Japans "Umarmung europäischer Standards" analog zum Eingang der römischen Kultur in die teuto- nischen Stämme S. 109f. "Racial characteris- tics" S. V, "larger groups known as races", S. 18. "Natürliche" (auch S. 109) und dauerhafte (!)

gemeinsame Interessen der an den russischen Flanken stehende "Teutonen" S. 63, deren "fun-

damentale Interessenidentität" S. 123, "triple bond" US-GB-D S. 133. Bedeutung des Han- delsmotivs für Deutschland und Schlussfolge- rung S. 63f, zu Frankreich S. 63. Übergewicht der Flankenmächte S. 64f

 

Aussage S. 144f. Mahan wird seinen Text ir- gendwann im Sommer 1900 geschrieben ha- ben. Das deutsch-britische Jangtse-Abkommen vom Oktober 1900 erfüllte dann, s. "Campbell", nicht die amerikanischen Erwartungen.

 

Problematik S. 27, "...its flanks, thrown to the rear, are unassailable, so long as the navy re- mains predominat", S. 28.

 

Hypothetische russische Golfposition S. 119f.

 

 

Wörtliches Zitat und Schlussfolgerung S. 120.

"Outrage of Pekin" S. 152.

Einschätzung Chinas mit Wiederholung "chief centre" S. 124, Dringlichkeit dessen Zustands S. 151f.

Problematik für die Seemächte S. 162.

 

 

 

 

"Teutonen" und China gegen Beherrschung aus dem Ausland S. 177.

Die "offene Tür" muss auch offen gehalten wer- den, nötigenfalls durch Werfen des physischen Gewichts in die Waagschale, S. 172. "Gigantic scheme", S. 179.

"Seriously impede advance from the north", S. 67.

 

 

"The best sea road to the east... lies beyond the scope of United States activities, but not outside our lively solicitude", S. 128f.

 

S. 69.

 

 

 

 

Ds.

S. 117.

 

Deutsch-britische Flottenpräsenz in der Levante

durch eine solidere territoriale Landniederlas- sung abzusichern, S. 78f. Interesse am Erhalt der Verbindungslinien auch S. 77f, 127.

 

"...enables her [Italien], by means of her power- ful navy, to be a factor of decisive importance... ", S. 68.

Zusammenfallende Interessen D-GB-I S. 82, der Angelsachsen und Italiens in Opposition zu Frankreichs unterstellter Präponderanz S. 105.

Italiens enthusiasitische Einschätzung S. 145f.

Hypothetische türkische Entwicklung S. 71f.

 

 

 

Evidente Koinzidenz amerikanischer und briti- scher Interessen S. 186.

Fähigkeiten der "angelsächsichen Rasse", S. 192.

Unnatürlichkeit eines Gegensatzes S. 195.

 

"...far exceed in potential force...", S. 196.

Gegenseitiges Wohlwollen S. 198, Einschätz- ung Großbritanniens S. 84.

 

Mahans Fassung von "Anglo-Saxonia contra mundum" S. 140. Ausgesprochene gegenseiti- ge, von anderen nicht geteilte Sympathie S. 144.

US-ES-Krieg "not a disconnected incident", S. VII, 11.

 

Wörtliches Zitat S. 11.

 

S. 138f.

 

S. 135.

 

 

S. 187.

 

 

S. 64: "a base similar secure", S. 12: "an act we could not rightly avoid", S. 175: "unwilling acqui- sition", S. 190: "a measure forced...upon oursel- ves...".

S. 11f.

Wörtlich S. 12: "(Japan) ...now with satisfaction sees us in posession..."

 

 

Zum Spanisch-Amerikanischen Krieg S. 142, "400.000 Hungertote", nach Wikipedia im Kuba- nischen Unabhängigkeitskrieg Internierte, viele davon starben, S. 211 "not legal, but moral".

Zum Burenkrieg S. 140, 143, 144 und wie oben erwähnt besonders S. 203ff. Die Rechte der englischsprachigen Einwanderer galten als ver- letzt und Transvaal unter britischer Oberhoheit.

Zur ignorierten Konzessionsbereitschaft der Gegner siehe "1898 - 1907".

 

 

"but as important outpost...it has some perma- nent value", S. 132. "Duty of the Empire", S. 231.

"To let it go...would be to dissolve the Empire", S. 232.

"...the favorable moment for revolt should be found in a day of imperial embarassment", S. 233.

"...to supplant British rule by the Dutch...", S. 231. Neitzel s. Einleitung.

 

 

 

 

 

Curaçao sollte ganz aus einer solchen Verbin- dung draußen bleiben, S. 136.

 

 

Persönliche Schlussfolgerung.

 

 

 

 

 

Etwa Salisbury, s. Hoyer,Literaturangabe 1. Ka- pitel, S. 149.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entschiedene amerikanische Aversion gegen das Studium außenpolitscher Probleme S. 130.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karthago-Motiv S. 103.

Wörtliches Zitat S. 26.

Wörtliches Zitat S. 94.

 

Ds. zum Frankenreich.

 

 

 

 

 

 

S. 141, mit vielen Beispielen.

 

Mahans Version vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln S. 27. "Political or peaceful" S. 28. Zu China S. 169, zu "open door"

s.o. S.172.

 

Meine Interpretation der Seiten 170, 175, 189.

Zweiozeanflotte S. 181, "Gewicht" und "innere Linie" S. 182. Ersteres erinnert an die sowjeti- sche Prophezeiung zum Eintritt in einen neuen Weltkrieg aus den 20er Jahren, letzteres dürfte ein Mahan geläufiger Clausewitz-Gedanke sein.

Funktion des Atlantiks S. 191.

 

 

 

"The right to grow, of the world in general...", S. 31, "healthy national growth", aber "contracting

of the free ground equally to all", S. 33.

Überlegungen S. 46.

 

 

 

 

Außerchinesische Einflüsse S. 103.

Beeinflussung Chinas S. 163.

"Open door" auch moralisch S. 167.

Mahans Prophezeiung S. 168.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hierzu Hilary und Francis Conroy, Sophie Quinn-Judge: West Across the Pacific: The American Involvement in East Asia from 1898 to the Vietnam War, Cambria Press, Youngstown 2008, S. 37.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S.o. S. 9.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/4842275/USA_Der-Mord-der-die-Mafia-bekannt-machte

 

 

 

Natürlich ist es nicht sehr glaubhaft, dass die- sesEreignis allein die Begründung für die ame- rika- nische Expansion ausmachte. Aber es mag den Amerikanern deutlich vor Augen geführt haben, dass die Beherrschung der Meere, wie es Mahan anderweitig formuliert, für ihre Sicherheit eine entscheidende Rolle spielt, genauso, wie sie selbst für die Beeinflussung der globalen Politik eine entscheidende Rolle zu spielen haben.