© Holger Bergmann 2015 - 2023

1914: Niederlage ohne Entscheidung im Westen

          Sieg ohne Entscheidung im Osten

          (Die unerwarteten Ergebnisse)

Niederlage im Westen: Zusammenhang zwischen genereller deutscher Kriegser- wartung, Schlieffen-Moltkeplan und Marneschlacht

 

 

"Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!" So, wie es der  mit seinen knapp 90 Jahren nun buchstäblich Ältere Moltke in seiner letzten Reichstagsrede prohezeit hatte, war es nun gekommen. Der Krieg war ein- getreten, und mit den Kriegserklärungen an Russland und Frankreich hatte man sich, über die wohl notwendige Strafaktion gegen Serbien hinaus, selbst zum Aggressor gemacht.

 

Will man nicht das Fatalismus-Untergangs-Argument (siehe Ende von "Julikrise") bemühen, nachdem sowieso jede Entscheidung für den Krieg nur noch absurde Gewalt im Sinne der "Ehre" bedeutet, fällt es schwer, insbesondere in der frühen Kriegserklärung Deutschlands an Russland irgend einen Sinn zu erkennen <der, letzten Endes, sinnlose Sinn ist in der Buchbesprechung "Copeland" erklärt>. Ob man nun einen objektiven Kriegsgrund hatte, oder ob man von Großbritannien aufs Glatteis geführt wurde, spielt für die  Begründung dieser Entscheidung, deren Erfolgen aus eigenem Interesse man annehmen muss, keine Rolle.

 

Dass diese Entscheidung aus dem Zeitdruck heraus erfolgt sein soll, der sich aus den Planungen von Schlieffen und  dem Jüngeren Moltke ergibt, wäre selbst dann nicht nachvollziehbar, wenn es die entscheidenden Personen behauptet hätten. Denn Truppenaufmarsch, operative Bewegungen, Kämpfe und der Transfer groß- er Soldaten- und Materialmassen von West nach Ost hätte auf jeden Fall Wochen in Anspruch genommen. Wochen, die auch der angeblich so schwerfälligen russi- schen Militärmaschinerie gereicht hätten, ihre Mobilmachung im Vollbild zu ent- falten. Es hätte also keine noch so genial geplante und  erfolgreich ausgeführte Operation im Westen die Möglichkeit eröffnet, die russischen Truppen sozusagen noch im Aufmarsch niederzuwerfen.

 

Bereits zum Ende von "Julikrise" habe ich ausgeführt, dass Deutschland und Ös- terreich-Ungarn, anstatt Kriegserklärungen abzugeben, besser eiskalt abgewartet hätten, bis sie angegriffen worden wären. Eine Defensivaufstellung der eigenen Truppen war möglich und im Nachhinein gesehen wenigstens für eine gewisse  Weile durchaus erfolgversprechend gewesen, bedenkt man den Verlauf des Er- sten Weltkriegs. Groß angelegte Offensiven fanden auch zuerst von Frankreich (7. August, Oberelsass, nach  Plan XVII mit dem Versuch der Umsetzung des Konzepts der offensive à outrance) und Russland (15. August, Ostpreußen) ge- gen Deutschland statt, nicht umgekehrt. Das deutsche Vorgehen gegen Luxem- burg und Belgien verletzte ja kein französisches Gebiet. So weit man deutsch- erseits unbedingt meinte, die Eisenbahnknoten Lüttich und Luxemburg in die Hand bekommen zu müssen, hätte das auch ohne irgendwelche Kriegs- erklärungen erfolgen können, und ohne Verletzung französischen Gebiets, wäre keine französische Kriegserklärung oder Grenzverletzung erfolgt. Großbritannien wäre sicher not amused gewesen, aber die Initiative zu Kriegserklärungen wie Kampfhandlungen wäre bei den Alliierten gelegen. Um die faule Ausrede einer "reinen Sicherungs- und Vorsichtsmaßnahme" hätte man deutscherseits nicht verlegen sein müssen.

 

So gesehen ist die Behauptung, die Operationen im Westen hätten unter Zeitdruck gestanden, schwer nachvollziehbar, egal, ob es jetzt Kritiker Moltkes oder Historiker behaupten. Insbesondere macht es, wie oben bereits ausgeführt, keinen Sinn, eine Kriegserklärung an den Osten abzugeben, wenn man  (mangels eines Plans "B") im Westen zuschlagen will. Man darf auch feststellen, dass die von den verschiedenen Generalstabschefs häufiger erhobenen Forderungen nach einem Präventivkrieg <bis zur Julikrise> nie das Gehör der politischen Führung fanden, <der bisher folgende Nebensatz "auch nicht in der Julikrise" hat sich, s. "Copeland", als falsch erwiesen>. Die  Forderung des Kaisers nach Umdirigierung des Aufmarschs nach Osten aufgrund der  über Lichnowsky lancierten britischen Falschmeldung (siehe "Julikrise") ist das beste Argument dafür, dass der Kaiser sich dem Druck der Militärs nie zu beugen brauchte, er blieb stets Herr des Verfahrens. Erst nach der Klarstellung durch Georg V. ließ er Moltke <Richtung Westen> von der Kette <die Kriegserklärung an Russland war zu diesem Zeit- punkt schon raus>.

 

Der Zeitdruck war demnach selbst gemacht, obwohl er objektiv gar nicht bestand. Die Vermeidung der  Inanspruchnahme niederländischen Territoriums, zum einen wieder (wie die russische Mobilmachung) mit einem eigenen Kriegsschuldargu- ment begründet, zum anderen mit dem Eingeständnis der Möglichkeit eines lang- en Krieges, stand den erfolgreichen Anfangsoperationen der deutschen Truppen im Westen nicht im Wege. Der Feldzug sollte schließlich aus einem anderen Grund scheitern, dazu mehr unten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An dieser Stelle soll eine merkwürdige Episode erwähnt werden: der spätere "eigentliche deutsche Militärbefehlshaber" General Erich Ludendorff eroberte die Zitadelle der Festung Lüttich aus Versehen im Alleingang. Fälschlich in der Annahme, die Zitadelle sei bereits erobert, begab Ludendorff sich dorthin und klopfte ans Tor. Die sich dort befindenden belgischen Soldaten konnten nicht glauben, dass ein preußischer General ohne Gefolge erschienen war, und ließen ihn ein. Spätestens  jetzt hätten die Belgier ihren Irrtum bemerken und Ludendorff gefangennehmen können. Stattdessen hissten sie die weiße Fahne [wohl in der Annahme, wenn es bereits so weit ist, dass ein feindlicher General allein er- scheint, ist ohnehin alles zu spät]. Ludendorff galt fortan als Kriegsheld.

 

Woran scheiterte nun der Feldzug im Westen? Man hat Moltke, der nicht nur als Generalstabschef für die  Planung, sondern als Oberkommandierender im Westen (genauer war er ebenso für den Osten zuständig, schlug aber sein Hauptquartier im Westen auf und leitete dort die Operationen, zumindest versuchte er es) auch für die Ausführung verantwortlich war, zwei Vorwürfe gemacht: erstens hätte er Schlieffens Plan "verwässert", zweitens hätte er durch seine Führungsschwäche die Operationen letzten Endes fehlgesteuert. Für den ersten Vorwurf kann man nach meiner Sicht Argumente geltend machen, allerdings dahingehend, dass er mit dem Schlieffenplan kein unfehlbares Siegesrezept, sondern ein kaum Erfolgs- aussichten bietendens Vabanquespiel verwässerte. Zum zweiten Vorwurf ist eine differenzierte Beurteilung erforderlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richtig ist also, waren Schlieffens und Moltkes Pläne bereits ein Vabanquespiel, hätte es im Sinne von Schlieffens Ausspruch "Macht mir den rechten Flügel stark!" auch radikal va banque gespielt werden müssen.  Tatsächlich sah Moltkes Pla- nung, dazu unten im Detail, auch einen verstärkten  linken Flügel vor. Richtig ist weiterhin, dass das Nervenbündel Moltke, auf die Nachricht vom schnellen rus- sischen Vormarsch im Osten, zwei Armeekorps von der Westfront dorthin schickte, die dann natürlich im Westen fehlten. Außerdem mussten zwei Armee- korps abgestellt werden, um die Festungen Antwerpen und Maubeuge zu bela- gern, deren Besatzungen andernfalls für die Deutschen gefährliche Ausfälle hät- ten unternehmen können. Aber was   war, unter dieser Überlegung, mit der Rie- senfestung Paris? (Schlieffen nahm darauf Rücksicht, s.u.).

 

 

 

Es spielt auch keine Rolle, ob die am weitesten rechts marschierende deutsche (1.) Armee westlich oder östlich an Paris vorbeimarschiert wäre. Aus Paris heraus vorgehende französische Truppen hätten auch im ersten Fall diese angreifen, so sogar noch eher isolieren und  aufreiben können, hätte sie ohne Kontakt zu ande- ren eigenen Truppen operieren müssen. Tatsächlich verlief, trotz gewisser Schwierigkeiten und punktweiser Rückschläge, der deutsche Vormarsch so lange erfolgreich, wie er ein Vormarsch war. Dass dabei keine entscheidende Vernich- tung feindlicher Truppenmassen gelang, war eigentlich auch nicht vorgesehen ge- wesen, und wie man dem deutschen Vormarsch mangelnde Schnelligkeit vorwer- fen kann, gerade die 1. Armee mit dem weitesten Weg leistete Außerordentliches, erschließt sich mir nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schneller ging es also nicht, weitergehende Forderungen sind und waren unrea- listisch. Die Entscheidung sollte nach Plan dadurch fallen, dass die alliierten Trup- pen gegen ihre eigene Lothringer Festungsfront bzw. die Schweizer Grenze gedrückt und so zu Aufgabe veranlasst werden sollten. Isoliert betrachtet fehlte dazu auch nicht viel. Nur, ein Problem war nicht bereinigt: die Möglichkeit eines Angriffs in den Rücken der deutschen Truppen aus Paris heraus. Es hätte eigens eine Armee gebraucht, um Paris einzuschließen und zu neutralisieren, damit die restliche Operation erfolgreich hätte abgeschlossen werden können. Nur, diese Armee gab es nicht (vielleicht kann man meine Argumentation aus "Mangelnde Vorbereitung" dahingehend nachvollziehen, dass die Aufstellung dieser Armee in der Folge des "Kriegsrats" vom Dezember 1912 versäumt wurde).

 

 

Als diese Gefahr offensichtlich wurde, befahl Moltke der 1. Armee, die am weites- ten vorgestoßen war, den Rückmarsch (!) Richtung Paris, damit sie für den rest- lichen Angriffsflügel die Rückendeckung übernimmt. Deren Oberbefehlshaber Kluck weigerte sich zunächst, den Befehl auszuführen, denn ohne seine Armee war der Angriffsflügel zu schwach. Tatsächlich hatte Moltke mit seinem Befehl den Feldzug praktisch verloren gegeben. Aber auch Klucks  anfänglicher Ungehorsam war nicht schlachtentscheidend. Infolge des Angriffs der 6. französischen Armee aus Paris heraus konnte er nicht anders, als Moltkes  Befehl doch noch auszufüh- ren und seine Armee  korpsweise abzuziehen. Durch diese Operation entstand die berühmte Lücke in der Front zwischen der 1. und der 2. Armee (hierzu füge ich eine Karte aus Senior ein (S. 277), die dem Copyright des Osprey-Verlags un- terliegt. Eine Anfrage auf Genehmigung der Veröffentlichung hier ließ Osprey un- beantwortet).

 

 

Klucks  1. und die französische 6. Armee lieferten sich nun einen heftigen Kampf am Flüsschen Ourcq. Häufig wurde und wird wohl auch noch behauptet, die Deutschen hätten diesen Kampf zu früh abgebrochen. Insbesondere soll der Be- auftragte Moltkes, Oberstleutnant Hentsch, seine Kompetenzen überschritten und der 1. Armee zu Unrecht den Rückzug befohlen haben. Diese Darstellung igno- riert die tatsächlichen Verhältnisse.  Denn in der Zwischenzeit waren auch an der Hauptfront die alliierten  Streitkräfte zum Gegenangriff übergegangen. Hentsch hatte mit dem Oberbefehlshaber der 2. Armee, Bülow, vereinbart, dass dieser seine Stellung hält, solange nicht das britische Expeditionskorps die Marne überschreitet. Aber genau das geschah. Die zwei deutschen Kavalleriekorps, die in für sie völlig ungeeignetem, dicht bewaldeten Gelände die Briten am Fluss- übergang hindern sollten, vermochten ihre Aufgabe nicht zu erfüllen. Bülow entschloss sich zum Rückzug. Hentsch war zuvor zu Klucks  Stab abgefahren, um die 1. Armee zu veranlassen, den Kontakt zur 2. Armee wieder herzustellen und ihr zu Hilfe zu kommen. Unterwegs hörte er die Nachricht, dass der Feind über die Marne war.

 

Kluck hatte inzwischen eine Art Schlieffen-Plan im Kleinen ausgeführt und seinen rechten Armeeflügel gegen die Franzosen in einer Schwenkbewegung vorgehen lassen. Aber die in diesem Abschnitt überlegene französische Artillerie schoss die Deutschen zusammen. Der Angriff scheiterte blutig, die Aufstellung der 1. Armee zerriss, und die Briten näherten sich. M.e. hätten Kluck und seine Truppen keinen weiteren Tag ausgehalten. Hentsch lag völlig richtig, die 1. Armee musste da weg. Der Feldzug war gescheitert, und nicht nur aus irgendeinem Führungsversagen heraus. Eine militärische Niederlage war eingetreten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Zu Moltkes Führungsqualitäten ist zu sagen, dass er das Problem "Paris" nicht oder zu spät erkannt hat. Ob er die nach dem Osten abgezogenen Einheiten ohne diese Entscheidung überhaupt defensiv gegen Paris gesandt hätte, ist eine offene Frage. Die deutschen Truppen waren zum Beginn der Marneschlacht mit 24,5 gegen 41 alliierte Divisionen jedenfalls zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Moltke war offensichtlich der Ansicht, der deutsche linke Flügel könnte französi- sche Einheiten, wenn nicht vernichten, so zumindest festhalten, um ihren Trans- fer auf deren linken Flügel (zur 6. Armee) zu verhindern. Diese Ansicht trog, dazu der nächste Abschnitt.

 

 

Schlacht  in Lothringen

 

Die Entscheidung Moltkes, den linken deutschen Flügel in Lothringen zu verstär- ken, war, für sich gesehen, nicht so unsinnig, wie seine Kritiker meinen mochten, sondern folgte einer bestechenden Logik. Die Franzosen, deren Offensivpläne bekannt waren, hatten zwei Möglichkeiten: entweder weit auf  Reichsgebiet vorzu- stoßen. Dort  würden sie eingeschlossen und vernichtet werden. Oder, sie müssten sich wegen der Erfolge des deutschen rechten Flügels zurückziehen, ihre Kräfte auf ihren eigenen linken Flügel verlegen und die Festungen so ohne Deckung von Feldtruppen lassen. Dann konnten die deutschen Kräfte zwischen den Festungen hindurchstoßen und den deutschen Angriffsplan, der eigentlich (wie der von 1940) eine Sichelschnitt-Operation war, in einen Zangenangriff umwandeln.

 

Hier lag das Problem darin, dass die Franzosen eine dritte Möglichkeit wählten. Joffre, der die Falle witterte, befahl seinen Truppen, vorsichtig vorzugehen. Dem deutschen Oberbefehlshaber der 6. Armee, Kronprinz Rupprecht von Bayern, gelang es nicht, die Franzosen entscheidend zu fassen. In der Folge trat erstma- lig das Phänomen auf, das für den weiteren Verlauf dieses Krieges kenn- zeichnend sein würde: unterlegene Truppen schafften es, einen überlegenen Gegner  verteidigend aufzuhalten [als Irrtum sollte sich dieses Verfahren bis zu Hitlers in die Niederlage führende Haltestrategie im Zweiten Weltkrieg hinziehen]. Das Durchstoßen der Festungsfront (die man sich nicht als Gebirge aus Stahl- beton, sondern als Serie mit Feldtruppen verbundener Forts vorstellen muss) misslang. Nachdem zur notwendigen Verstärkung des deutschen rechten Flügels Truppen abgezogen, Munitionszuteilungen gemindert bzw. umgeleitet wurden und Belagerungsartillerie zumindest verlegt werden sollte (die Ausführung des ent- sprechenden Befehls geht aus Storz, S. 194, nicht hervor), stoppte Rupprecht den Angriff, in Unkenntnis dessen, dass die Franzosen drauf und dran waren, imm- erhin einen befestigten Höhenzug bei Nancy zu räumen, wodurch zumindest an dieser Stelle ein deutscher Durchbruch möglich geworden wäre.

 

 

Im Nachhinein gesehen war die Festungsfront bei Nancy also nicht unüberwind- lich, die Geschichte mit Belgien hätte man sich demnach sparen können. Großbritannien wäre auch darüber not amused gewesen, aber die Beurteilungen, was die Kriegsschuld angeht, wären komplizierter ausgefallen. Ebenso wäre eine deutsche Defensive im Westen mit weit unterlegenen Kräften, bei einer Schwer- punktkriegführung im Osten, nicht ohne Aussicht gewesen.

 

 

Sieg im Osten: Das ausgebliebene Desaster

 

Die Niederlage im Westen, nachdem man bei diesem Feldzug alles auf eine Karte gesetzt hatte, hätte jetzt den Eintritt der erwarteten Katastrophe zur Folge haben müssen. Wie oben argumentiert, wäre diese Katastrophe auch dann eingetreten, wenn Schlieffens und Moltkes Westpläne erfolgreich umgesetzt worden wären, denn die Zeit hätte so oder so nicht gereicht, die russische Dampfwalze  zu stop- pen. Diese kam auch noch schneller als erwartet in Gang. Aber sie erwies sich als klapperig.

 

Die Russen hätten beispielsweise, nach der Devise des Zweiten Weltkriegs "Ger- many first", die Hauptmacht ihrer Kräfte gegen die schwach verteidigte deutsche Ostgrenze richten und dabei gegenüber dem militärisch nicht allzu hoch einzuschätzenden Österreich-Ungarn erst einmal defensiv bleiben können. Ein Vorstoß aus Polen heraus in Richtung Odermündung hätte den ganzen deutschen Nordosten abgeschnitten, Joffre hatte eine derartige Operation sogar den Russen vorgeschlagen. In Verbindung mit einer britischen  Besetzung Dänemarks und nachfolgendem Vorstoß britischer Schiffe in die Ostsee  in Richtung pommersche Küste (fraglich, ob das funktioniert hätte, Dänemark musste auf deutschen Druck hin seine Gewässer verminen) wäre daraus ein veritabler strategischer Zang- enangriff geworden.

 

Es gab im ganzen Krieg aber nie eine effektive Zusammenarbeit zwischen Russen  und Westalliierten.   Auch verweigerten sich die Russen generell einer strategischen Kriegführung und sahen lieber Angriffe auf die Gebietsvorsprünge der Mittelmächte,  Ostpreußen und  Galizien vor. In Galizien stellte sich Öster- reich-Ungarn, das zunächst unabhängig vom deutschen Verbündeten Krieg füh- ren wollte, den Russen direkt entgegen und wurde, so zunächst der  Eindruck, vernichtend geschlagen. In Ostpreußen gingen zwei russische Armeen gegen die dort allein verteidigende deutsche 8. Armee vor. Auch für die deutsche Seite sah die Lage alles andere als gut aus.

 

 

 

 

 

 

 

Die Russen waren jedoch artilleristisch unterlegen, miserabel geführt und ver- schlüsselten ihre Funksprüche nicht, sodass die Deutschen über ihre  Bewegung- en genau informiert waren. Zur russischen Ausrüstung folgendes Zitat aus Jan Kusber: "Als die 2. russische Armee die Grenze zu Ostpreußen überschritt und es zum »August 1914« kam, war ihr Handicap nicht die schlechte Ausbildung der Soldaten, nicht etwa ein Mangel an Gewehren und Soldaten, sondern eine unent- schlossene Führung auf der Ebene der höheren Offiziere sowie die mangelnde Koordination und Kommunikation. Für die etwa 150 000 vormarschierenden Män- ner der Armee standen nur 25 Telefone, ein kaputtes Telegrafengerät, zehn Autos und vier defekte Motorräder zur Verfügung. Auch die Flugzeuge mussten wegen Materialschäden am Boden bleiben. Die Beobachtungen der Bewegungen des Gegners sowie die Kommunikation mit den rückwärtigen Linien konnte nur über einzelne Reiter geleistet werden." (S. 267f, setzt sich fort).

 

Die 8. Armee wurde auch nicht, wie Fleischhauer oben im Link meint, von den Russen in die Flucht geschlagen, sondern löste sich in einer eleganten Operati- on von der 1. russischen Armee, um  gegen die 2. russische Armee vorzugehen. Konzipiert hatte dieses Vorgehen der Erste Generalstabsoffizier der 8. Armee, Oberstleutnant Max Hoffmann. Der  Armeeoberkommandierende Prittwitz wollte gleich hinter die Weichsel, aber Moltke löste ihn und seinen Stabschef ab und holte die (als Folge der kommenden Schlacht bei Tannenberg) berühmten Figuren Hindenburg und Ludendorff als deren Nachfolger. Ludendorff musste nur noch Hoffmanns Pläne übernehmen. Die Schlacht endete mit einem propagandistisch über die Maßen ausgeschlachteten Erfolg für die deutsche Seite. Die zwei Armeekorps, die Moltke nach dem Osten geschickt, Prittwitz aber gar nicht angefordert hatte, kamen für die Schlacht zu spät.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis Jahresende warfen die Deutschen die Russen aus Ostpreußen wieder raus. Österreicher und Ungarn mussten tun, was sie schon zu Anfang hätten tun sollen: sich unter Aufgabe Galiziens auf den Karpatenbogen mit  den hervorragenden Verteidigungsmöglichkeiten, die ein Gebirge bietet, zurückzuziehen. Die folgende Winterschlacht dort sah die Russen bereits hauptsächlich wieder in der, nicht er- folglosen, Defensive. Aber von einem für die Donaumonarchie gefährlichen rus- sichen Vorstoß durch das Gebirge konnte überhaupt keine Rede sein. Die russi- sche Offensive war gescheitert.

 

 

Türkischer Kriegseintritt

 

Ende Oktober 1914 war auch noch die Türkei auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eingetreten, ohne deren Kriegführung entscheidende, oder überhaupt wel- che, Impulse geben zu können. Es  führte immerhin dazu, dass weitere russische Truppen gebunden wurden. Dass  diese dadurch zur Karpatenschlacht entschei- den geschwächt waren und die Türken somit Österreich-Ungarn erst einmal gerettet hatten, scheint eher nicht der Fall gewesen zu sein, nachdem die Russen sowieso keine Anstalten machten, in die ungarische Tiefebene einzudringen und gegen Wien bzw. in Richtung Belgrad vorzumarschieren.

Es hätte infolge Kriegseintritts der Türkei wenigstens die Möglichkeit bestanden, unter Ausnutzung türkischen Staatsgebiets gegen die südpersischen Ölfelder vor- zugehen und diese für die britische  Seekriegführung besonders wichtigen  Quellen zu besetzen. Aber nichts dergleichen. Stattdessen war es die erste hei- lige Handlung der britischen Kriegführung gegen die Türkei, Basra einzunehmen und dadurch Operationen wie die oben angedeutete zu verhindern.

 

 

Was fehlt in Wikipedia, um die Ereignisse im Westen zu verstehen?

 

Während, wie bereits oben ausgeführt, die Darstellung in Wikipedia zur Schlacht bei Tannenberg keine Wünsche offen lässt, kann dies für die entsprechenden Ein- träge zur Schlacht an der Marne und der in Lothringen nicht behauptet werden. Die Gründe, warum diese Schlachten für die deutsche Seite verloren gingen, kann ich aus diesen Einträgen nicht herauslesen.

 

Die Darstellung der Schlacht an der Marne beginnt bei Wikipedia mit dem Beginn der so zu titulierenden Kampfhandlungen am 5. September 1914. Moltkes Befehl, die 1. Armee zurückzunehmen, mit dem ihm sein Fehler bzw. seine generelle Fehlplanung bewusst wurde, datiert aber bereits vom 2. September. Die generelle quantitative Unterlegenheit der deutschen Truppen wird ebenfalls nicht deutlich. Die "Aufarbeitung"-Sektion am Ende beinhaltet die allseits bekannten Vorwürfe, aber keine Analyse (was man von einer kostenlosen Amateurkonstruktion wie Wikipedia auch nicht zu erwarten braucht).

 

Von den aufgeführten Fehlern sind die Nummern 1, 3 und 4, Moltkes nicht persön- liches Eingreifen, Hentschs unklare Beauftragung und dessen zu pessimistische Lagebeurteilung bzw. Kompetenzüberschreitung in etwa derselbe Vorwurf. Dass Hentsch Recht hatte, wurde oben argumentiert, Moltke selbst hätte auch nicht besser entscheiden können. Fehler Nr. 5, Klucks Ungehorsam und die Erzeugung der Frontlücke, ereignete sich unter der Druck der  Ereignisse zwangläufig, so meine obige Argumentation. Fehler Nr. 6, Bülows Zurückweichen, ignoriert dessen   Feststellung   der Erschöpfung seiner 2. Armee und deren gleichzeitige Flankenbedrohung durch die Briten. Auch die Position der 2. Armee war unhalt- bar, Bülow somit zum Rückzug gezwungen.

 

Bleibt Fehler Nr. 2, die Entsendung der Armeekorps nach Ostpreußen. Der Vorwurf ist zwar stichhaltig, die Korps wären gebraucht worden. Nicht wird jedoch angegeben, wozu! Auffällig ist, was den Kritikern der deutschen Vorgehensweise offenbar nicht auffiel (zumindest wird es nicht geäußert): dass es notwendig war, Paris abzudecken. Schlieffen hatte es gesehen, Moltke hatte nichts daraus ge- macht. Die Kräfte, den Vorstoß der französischen 6. Armee aus Paris heraus auf- zufangen und trotzdem mit der Hauptmacht gleichzeitig weiter offensiv vorgehen zu können, waren nicht vorhanden.

 

Die bei Wikipedia anschließende französische Darstellung (General Berthelot), der Angriff aus Paris heraus sei zu früh erfolgt, bei weiterem deutschen Vorrücken hätte man, mit einer gleichzeitigen Operation von Osten, Richtung Verdun her, den ganzen deutschen Angriffsflügel einschließen und vernichten können, er- scheint allerdings auch übertrieben. Der Vorstoß von Verdun aus wäre auf den Widerstand der deutschen 4. und 5. Armee getroffen und hatte somit keine zwingenden Erfolgsaussichten.

 

Diese ergaben sich auch nicht bei einem deutschen Sieg an der Marne, denn der Feldzug wäre damit noch nicht zu Ende gewesen. Bei der abschließenden Ent- scheidungsschlacht wären, außer einem deutschen Sieg, auch zwei Misserfolgs- szenarien möglich gewesen: zum einen, dass durch die Kämpfe sich nicht die al- liierten, sondern die deutschen Truppen auflösen. Die vorangegangenen Kämpfe waren, siehe Bülows zum Rückzug führende Feststellung, auch für die deutsche Seite verlustreich genug gewesen, sodass die Truppen eine weitere Schlacht wo- möglich nicht mehr durchgestanden hätten. Zum anderen hätten Briten und Fran- zosen vielleicht ein weiteres Mal entwischen können, diesmal in Richtung Süd- westen, ins Innere Frankreichs. Etwa auf der Linie Nantes-Lyon hätten sie die deutschen Kräfte zersplitternden Widerstand leisten können. Auch dann wäre der deutsche Sieg im Westen in weite Ferne gerückt.

 

Zur Schlacht in Lothringen verwundert bei Wikipedia vor allem die  unvollständige Darstellung (obwohl u.a. Storz als Quelle angegeben ist). Der Versuch, die Fran- zosen in eine Falle zu  locken, sowie dessen Scheitern sind vorhanden. Nicht je- doch der Grundgedanke, die zurückweichenden Franzosen durch die Festungs- front hindurch zu verfolgen, und auch nicht der Versuch der Ausführung. Daher  geht auch der Teil "Nachklang" fehl,  der die Verlegung einer deutschen Armee nun vom linken auf den rechten Flügel fordert. Denn das wäre zwar möglich gewesen, aber auch hier wird der Sinn nicht klar oder zumindest nicht angegeben: diese Armee zur Deckung von Paris zu verwenden. Eine solche Entscheidung wäre zwar sehr flexibel, gleichzeitig aber ein abruptes Verwerfen des Moltkeplans gewesen, und hätte zum Zeitpunkt ihres  Treffens  die Vorhersage des Scheiterns der folgenden Operationen auf beiden Flügeln erfordert. Nun war aber Moltke vielleicht Spiritist, jedoch kein Prophet.

 

 

Schlussgedanken und Ausblick

 

Dass eine mangelnde Entschlossenheit  der deutschen Führung zur Niederlage im Westen geführt hat, wird z.B. von Neitzel behauptet,  ebenso von Canis, der sich womöglich auf Neitzel stützt.  Bei beiden liegt aber keine Analyse der Kampf-handlungen vor. Mangelnde Entschlossenheit ist tatsächlich bei Storz do- kumentiert, Rupprecht musste sich in etwa zusammenreimen, was von ihm erwartet wurde, was er auch tat. Aber keine noch so entschlossene Führung hätte den Mangel an deutschen Truppen auf den Schlachtfeldern ausgeglichen. Die Fehler der  Vergangenheit wirkten sich nun unerbittlich aus.

 

 

Nach der Eröffnungsphase des Krieges stellte sich heraus, dass, bis auf eine, keine der wesentlichen Vorhersagen eingetroffen  war. Der Schlieffen-Moltke-Plan war gescheitert, ebenso die offensive à outrance, die gar nicht richtig durchge- führt werden konnte. Die russische Dampfwalze hatte nichts oder nichts Wesent- liches plattgemacht. Das Habsburgerreich, der "Koloss auf tönernen Füßen", hielt stand, daran sollte auch der Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Entente im nächsten Jahr nichts ändern. Nicht einmal das kleine Serbien ließ sich so einfach besiegen, nach Belgrad vorgedrungene Habsburger Truppen wurden nach kurzer Zeit von den Serben wieder rausgeworfen.  Die Illusion des kurzen Krieges war dahin, die Truppen zogen sich auf Verteidigungsstellungen zurück und kämpften weiter. Das nächste Jahr zeigte im Osten noch einmal den Bewegungskrieg, bis auch dort die Fronten erstarrten. Zufrieden konnten wieder einmal nur die Briten sein, deren Rivalen sich nun in einem erbitterten Ringen gegenseitig zerfleischten.

 

Ende 1914 wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, über die Einstellung der Kämpfe und eine Einigung auf dem Verhandlungstisch nachzudenken, nachdem keine der militärischen Maßnahmen den gewünschten Erfolg gezeigt hatte. Doch dazu kam es nicht. Man kann allen, die noch immer behaupten, der Krieg wäre ein großes Versehen gewesen, man wäre hineingeschliddert oder -geschlafwandelt, entge- genhalten, dass spätestens nach dem Ende der ersten großen Offensiven eine Nachdenkphase hätte einsetzen müssen, in der den handelnden Mächten ihr ent- setzlicher Irrtum klar geworden wäre. Aber nichts dergleichen. Die Westalliierten sollten keine Verständigungsbereitschaft zeigen, bis sie ihre Ziele auf gewaltsa- mem Weg  erreicht hatten. Und wer immer noch meint, der Krieg hätte zum "Griff Deutschlands nach der Weltmacht" gedient, sollte sich fragen, ob der irrlichternde Kaiser, der "Kanzler ohne Eigenschaften" Bethmann Hollweg und der "Feldherr wider Willen" Moltke, sowohl von der Planung als auch von der Ausführung des (angeblichen) Vorhabens her, dafür das passende Gespann waren. Der "deutsche Genius", von dem vielleicht Bismarck noch bis in die späten 1880er Jahre inspiriert war, machte bis 1945 Pause, und das in einer für Deutschland existenziell entscheidenden Phase.

 

 

 

 

Wenn bereits die Psychologie der deutschen  Führungsfiguren ein Vorgehen nach einem "Weltmachtkonzept" ausschließt, nimmt es nicht wunder, dass ein Solches niemals aktenkundig wurde. Dass ein planmäßiges Vorgehen auf britischer Seite ebenfalls nicht nachgewiesen werden kann, wurde in dieser Arbeit bereits mehr- fach festgestellt.  Bei der Lektüre von Canis fiel allerdings ein Zitat von Lansdowne auf, mit dem er sich auf die Entente cordiale bezieht. Er bezeichnete sie als "Bestandteil eines umfassenden Plans zur Besserung der Beziehungen zweier großer Länder".  Das Wort "umfassend" passt nicht zur doch recht be- schränkten Reichweite des britisch-französischen Übereinkommens.  Findet sich hier ein Hinweis auf eine "umfassende" Strategie, in die die Entente cordiale eingebettet wurde?

 

 

Zum Ende unserer Überlegungen hier soll die Frage gestattet sein, ob die deut- schen Operationen im Westen, obwohl an sich gescheitert, nicht zum Teil doch ein  Erfolg waren. Die Front war weit auf Feindgebiet vorgetragen worden, die wichtigen westdeutschen Industriegebiete waren vor dem feindlichen Zugriff vorerst geschützt. Der Krieg konnte in seine lange, zermürbende  Phase gehen.

<Aufgrund der Buchbesprechung "Copeland", s. Teil 1, mussten nachträgliche Änderungen eingefügt werden.>

 

 

Wikipedia bietet Moltkes Rede als Link an.

 

 

 

 

 

 

 

 

Einen sehr guten Überblick über die Ereignisse bietet die Ausarbeitung von Stig Förster: Der deutsche Generalstab und die Illusion des kur- zen Krieges, 1871-1914. Metakritik eines My- thos, ein im Internet zur Verfügung stehendes PDF: https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/mgzs.1995.54.issue-1/mgzs.1995.54.1.61/mgzs.1995.54.1.61.pdf. Förster bringt das Zeitdruckargument zu Anfang und das Unter- gangsargument zum Schluss, letzteres kompri- miert in dem Satz des damals als Kriegsminis- ter amtierenden Generals Falkenhayn, "wenn wir auch darüber zu grunde gehen, schön wars doch", kennzeichnend dafür, dass der deutsch- en politischen und militärischen Entscheidung zum Krieg letzten Endes die Ratio fehlte.

 

 

 

Linksstehende Konjunktive sind, das gilt auch für den folgenden Block, persönliche Überleg-ungen.

 

 

 

 

 

 

Für Schlieffen war die Defensive keine Unmög- lichkeit. Er hat sie zeitweise selbst geplant (Kriegsspiel von 1905, Groß, Literaturangabe 1. Teil 2. Kapitel, S. 98, ds. in Der Schlieffenplan, s.u., S. 134ff , mit der Möglichkeit von Gegenan- griffen bereits 1901/02, ds. S. 136) und nach En- de seiner Amtszeit 1909 gegen den nach ihm benannten Plan und gegen das Zeitdruckargu- ment empfohlen: "Daß wir Frankreich schnell überrennen könnten, davon kann gar keine Rede sein", S. 306 in Konrad Canis, Der Weg in den Abgrund, Deutsche Außenpolitik 1902 - 1914, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2011.

Werk Der Schlieffenplan, wo Groß u.a. Autoren neben weiteren Beiträgen die Existenz dieses Dokuments diskutieren, ebenfalls bei Schön- ingh, mehrere Orte, 2006.

 

 

 

 

I.f. ist nur noch vom jüngeren Moltke die Rede (der Ältere verstarb 1891).

 

 

Diverse Präventivkriegsforderungen wie deren Ablehnung bei Groß, S. 54.

 

 

 

 

Moltkes bestürzte Reaktion auf die kaiserliche Forderung zeigt im übrigen, dass der zweite Teil des "Schlieffen-" bzw. seines Planes, nämlich der des Abtransports der im Westen siegreich- en Truppen nach dem Osten, überhaupt nicht existierte. Andernfalls hätte Moltke sich ansatz- weise darauf stützen können (eig. Überlegung).

 

 

Das Kriegsschuldargument ist dahingehend zu verstehen, dass der britische Tadel der Verlet- zung der belgischen Neutralität durch Deutsch- land Großbritannien hindern würde, seinerseits über einen Angriff durch die Niederlande den deutschen Truppen in den Rücken zu fallen. Mit Hilfe von Handel über die neutralen Niederlande ("Luftröhre") sollte im Fall eines länger dauern- den Krieges die erwartete britische Seeblocka- de unterlaufen werden, so Annika Mombauer in Der Schlieffenplan, S. 90. Letzteres ebenso bei Groß, S. 99, dort setzt Moltke auch dem Kaiser 1905, wie sein Onkel 1890 dem Reichstag, die Möglichkeit des langen Krieges auseinander, den er aber (Mombauer S. 83, 85) nicht für ge- winnbar hält. Wenig überraschend dehnte Groß-

britannien seine Blockademaßnahmen auch auf die Niederlande aus (Neitzel, Blut und Eisen, S. 186f), sodass auch diese Rechnung Moltkes nicht aufging.

 

Aus Hans-Dieter Otto, Lexikon der militärischen Irrtümer, F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 2004, S. 163f. Ottos Buch erfüllt. m.e. wissenschaftliche Anforderungen nicht.

Ingeborg Fleischhauer beschreibt das Ereignis auf freitag.de ebenfalls, die an sich erfolgreiche Aktion gegen Lüttich als "misslungen", die belgi- sche Zitadellenbesatzung als "Kollaborateure": https:// www.freitag.de/autoren/der-freitag/misslungener-handstreich.

 

 

 

Der Kaiser trat mit Beginn der Mobilmachung die Führung des Heeres auf Reichsebene an Moltke ab, Groß, i.F. [G], S. 116. Vorwurf der Verwässe- rung wie der Führungsfehler (z.B.) bei Förster, s.o. S. 2, durch General Groener, der als Molt- kes Chef-Eisenbahnplaner, Ludendorffs Nach- folger als faktischer Chef der Obersten Heeres- leitung und Kriegsminister der Weimarer Repu- blik eine wichtige Rolle spielte.

Der vielfältig musisch interessierte, zum Spiri- tismus neigende und unter dem Pantoffel seiner Ehefrau stehende Moltke schien vielen nicht der richtige Kandidat für den Posten des General- stabschefs, so in Ian Senior, Home Before the Leaves Fall (i.F. [S]), Osprey Publishing, Oxford 2012, S. 37f. Nicht ganz einig ist sich Groß in der Beurteilung Moltkes. Jener verlor zwar pha- senweise den Überblick, [G], S. 115, seine ope- rativen Fähigkeiten blieben aber unbeeinträch- tigt (ds. S. 102).

Seniors Titel ist ein Ausspruch des Kaisers (so auch bei Förster, S. 1) mit denen er seinen Sol- daten in der Hoffnung auf einen kurzen Krieg herbstblattbraunen Dunst vormachte.

 

Ausdruck "Vabanquespiel" bei Förster, S. 3, zi- tiert nach Gerhard Ritter, "audacious in the ex- treme" [S], S. 42. Ausspruch Schlieffens [G], S. 61, dessen radikale Denkschrift von 1912 ds., S. 92.

Auslöser für Moltkes Entscheidung, dem die pre-

käre Situation der 8. Armee im Osten natürlich bekannt war (7/8 der deutschen Truppen waren nach Plan im Westen aufmarschiert, [G], S. 100) waren verfrühte Siegesmeldungen seiner Untergebenen ([S], S. 111f). Daraufhin sandte Moltke das Gardereservekorps, das XI. Korps und die 8. Kavalleriedivision nach dem Osten ([G], S. 118). Belagerung von Maubeuge durch das VII. Reservekorps ([S], S. 198), von Antwer- pen durch das III. Reservekorps (ds., S. 112).

 

Marschrichtung der 1. Armee bei [G], S. 108, mit

der falschen Schlussfolgerung, die französische

6. Armee hätte dieses Vorgehen als "Chance" genutzt.

Für die Darstellung von Operationen zur und Kampfhandlungen während der Schlacht ist mir keine gute deutschsprachige Quelle bekannt, was wegen der Bedeutung der Marneschlacht für die deutsche Geschichte doch wundert. Des-

halb greife ich auf Senior zurück.

Das Vorhaben, die feindlichen Truppen in "gro- ßen grenznahen Umfassungsschlachten" besie-

gen zu können, war Wunschdenken, egal ob

von Schlieffen persönlich ([G], S. 92) oder wem auch immer geäußert, denn dem konnte sich der Feind, wie er es auch tat, in geordnetem Rückzug entziehen. Mit "Erst, wenn es [das o.a. Vorhaben] nicht gelang..." (ds.) relativierte Schlieffen nicht nur dieses Vorhaben, sondern gab mit dem "auf ihre Festungsanlagen gedrückt

... werden" (ds.) das eigentliche Feldzugsziel an,

in dessen Richtung der Feldzug auch verlief.

Zu den deutschen Marschleistungen [G] S. 141 kritisch, S. 103 lobend. Die 1. Armee marschier-

te 300 Meilen [480 km] innerhalb von 3 Wochen, ohne Pause und z. T. unter heftigsten Kämpfen!

([S], S. 307).

 

S.o..

Vor der eigentlichen Entscheidung verliefen die Kämpfe durchweg günstig für die deutsche Sei- te.

Schlieffen sah gegen Paris acht neu zu bilden- de Reservekorps vor ([S], S. 34f). Deren Bildung

unterblieb. Die Überlegung, die französische 6. Armee praktisch noch in der Aufstellung zu ver- nichten, wie dies mit außerhalb Paris sich form- ierenden Teilen sozusagen im Vorbeimarsch ge-

lang ([S], S. 128), ignoriert den damaligen Fest- ungscharakter der französischen Hauptstadt.

 

Befehl Moltkes, die 1. Armee "gestaffelt" hinter die 2. zurückfallen zu lassen [S], S. 178f. Ge- naugenommen marschierte die 1. Armee dann nicht nach Paris, sondern nach Norden, näher- te sich damit aber wieder der französischen Hauptstadt, nachdem sie bereits bis südlich Pa-

ris vorgestoßen war. Funkspruch Klucks, in dem

er seinen Ungehorsam mit der Unmöglichkeit begründet, den Feldzug dann planmäßig weiter- zuführen, und statt seiner Truppen die o.a. Be- lagerungskorps von Antwerpen und Maubeuge anfordert, ds. S. 185. Schließlicher Rückzug der Masse der 1. Armee ds., S. 199, nachdem deren vor Paris allein zurückgelassenes IV. Re- severkorps zwischenzeitlich durch Angriffe der 6. Armee schwer unter Druck geraten war.

 

 

Beginn ds., S. 224, die Kämpfe nehmen von da ab bei Senior breiten Raum ein. Hentsch wurde und wird häufig zum Sündenbock gemacht. Er hat das auch selbst vorausgeahnt (ds., S. 306).

 

 

Beginn des alliierten Gegenangriffs (mit Wech- seln der Schauplätze i.F.) ds., S. 203. Vereinba- rung Bülow-Hentsch ds., S. 273, erfolgloser deutscher Versuch, die Briten, die bei Le Cateau

Kluck entkommen waren (ds., S. 115), am Flussübergang zu hindern, ds., S. 285ff (das betreffende Gewässer war der Petit Morin, zwi- schen diesem kleinen Fluss und der Marne aber

standen keine deutschen Truppen mehr, und es blieben Marnebrücken intakt). Rückzug der 2. deutschen Armee ds., S. 291, Hentschs Reise ds., S. 303.

 

 

Ds., S. 295ff.

 

Französisches Bombardement und dessen Folgen ds. S. 299ff. Dennoch bekamen Teile des

angreifenden deutschen IX. Korps anscheinend nichts ab und waren über den folgenden Rück- zug wütend (ds., S. 309). Hoffnungen auf einen Sieg in letzter Minute (ds., S. 303) waren unbe- rechtigt, der anfängliche Widerstand von Klucks Stabsoffizieren beruhte auf nicht aktuellen, zu optimistischen Lagebeurteilungen. Eine weitere Karte ([S], S. 293, Copyright-Vermerk s.o.) zeigt die zersplitterte Aufstellung der 1. Armee, sowie

ihre isolierte, durch einen Stoß der Briten in ih- ren Rücken gefährdete und ihre dadurch und durch die verlustreichen Kämpfe auf ihrem rech-

ten Flüge unhaltbare Lage.

 

 

Es wäre interessant zu sehen, wie Moltke selbst

bzw. Kritiker seiner Person wie Groener (zitier- te Veröffentlichungen in Förster, s.o.) die Prob- lematik "Paris" behandelten (Moltke macht eine zu geringe Truppenstärke geltend, S. 2). Zahlen-

verhältnis aus [G], S. 113.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Darstellung zu diesem Abschnitt basiert auf der in Der Schlieffenplan auf S. 161 - 204 befind-

lichen Ausarbeitung von Dieter Storz: "Dieser Stellungs- und Festungskrieg ist scheußlich!" Daraus die folgenden Zitate. Defensive Idee S. 168f, 174. Offensive Idee S. 169f.

Bekanntheit der französischen Offensivpläne S. 94 (Mombauers Artikel, s.o.), 168 (bei Moltke).

Für den Hinweis auf diese weitgehend unbe- kannte, aber nicht unwichtige Episode, wie die Information zu Rupprechts angeblichem Beweg-

grund (s.u.) danke ich Herrn Dr. Frank Buchholz.

 

 

Joffres Vorsicht S. 172, 175f. Dass der deutsche

Angriff (S. 179) möglicherweise zu früh erfolgte, wie ihm seine Kritiker (Groener S. 176, der Schweizer Autor Bircher, S. 178, sagt ihm gera- dezu Landesverrat nach, weil Rupprecht als einziger deutscher Armeeführer bis dato keinen Sieg zu vermelden hatte) vorwarfen, hat Rup- precht im Nachinhinein (S. 202) selbst einge- räumt. Tatsächlich machte er sich (unberechtig- te, S. 190) Sorgen um die Moral seiner Truppen,

denen er den Sinn des taktischen Rückzugs nicht vermitteln zu können glaubte (S. 174, 177, letzteres Zitat nachträgliche Kritik Moltkes an Rupprecht).

Französisches Halten der Stellung S. 182, da- durch für Joffre möglicher Abtransport von Trup- pen auf seinen linken Flügel S. 187.

Abgabe von Truppen aus Rupprechts 6. Armee und Munitionskürzungen S. 193f, Abbruch des Angriffs S. 197.

Höhenzug "Grand Couronné" nordöstlich Nancy S 184, dessen vorbereitete Räumung S. 197.

Schlieffen hielt den Durchbruch durch die Fes- tungsfront im Jahr 1897 für unmöglich ([G], S. 86, in 1902 plante er aber doch wieder, diese Front anzugreifen (ds., S. 87) [und zu durch- brechen?].

 

 

 

 

 

 

 

 

Katastrophenerwartung für den Fall des Schei- terns des Feldzugs [G], S. 87, 104.

 

 

Ausdruck "Dampfwalze" [G], S. 112 (aber auch allgemein geläufig). Schnelles russisches Vor- gehen ds., S. 112.

 

 

 

 

 

 

Vorschläge des französischen Generalstabs laut der Ausarbeitung von Stefan Schmidt zum Plan XVII in Der Schlieffenplan, S. 247f.

Eigene Überlegung zum möglichen britischen Vorgehen.

Verminung der Ostseezugänge durch Däne- mark (Schweden weigerte sich, der Öresund blieb z.T. offen) laut Wikipedia zur dänischen Marine.

 

 

Eigene Beobachtung.

 

 

Russische Präferenz der Angriffsziele ds., S. 248, und in der Ausarbeitung von Jan Kusber zu den russischen Streitkräften und dem deutsch- en Aufmarsch in Der Schlieffenplan, S. 264. Frankreich war über die Aussicht eines russi- schen Angriffs in das ostpreußische "Labyrinth" (Schmidt, s.o., S. 247), der keine kriegsent- scheidende Schwächung Deutschlands ver- sprach (Russland hielt Deutschland ohnehin für unbesiegbar, (Kusber, s.o., S. 268)) alles andere

als amusé (Schmidt, s.o., S. 250, mangelnde Abstimmung mit Kusber (vorst. Zit.), nach dem die französische Seite "nicht müde geworden [war], den Entlastungsangriff auf Ostpreußen und von dort aus tief in das Reich einzufor- dern").

Zahlenmäßige deutsche 1:3-Unterlegenheit zu Beginn der Kämpfe in Ostpreußen [G], S. 109, ds. Anm. 10 zur artilleristischen russischen Un- terlegenheit, ds. S. 109f zur schwachen russi- schen Führung (der russische Oberkomman- dierende Großfürst Nikolai Nikolajewitsch hatte höchstselbst mit anderen erzkonservativen Ge- nerälen eine Reform der Offiziersausbildung verhindert (Kusber, s.o., S. 259f)), zur Funkauf- klärung [G], S. 110, und Neitzel, Blut und Eisen, S. 58, dort Mangel der russischen Verschlüsse- lung.

 

 

 

 

 

 

"Elegant" eigene Bewertung: auf die Idee, einen Gegner stehen zu lassen und sich den anderen vorzunehmen, muss man erst mal kommen. Die behäbige russische Aktionsweise, die die- ses "elegante" deutsche Vorgehen zuließ, war deutscherseits bekannt ([G], S. 109f)

Hoffmann wird uns als einer grundlegenden Autoren noch andernorts begegnen.

Die Darstellung der Schlacht bei Wikipedia ist umfassend. Die russischen Armeeoberkom- mandierenden Samsonow und Rennenkampff hatten schon im Russisch-Japanischen Krieg bis zur Schlägerei untereinander schlecht zu- sammengearbeitet und waren dennoch wieder mit dem Kommando nebeneinaderliegender Verbände betraut worden. Samsonow beging als Folge der Niederlage Selbstmord.

Bis zur Schlacht nicht abgeschlossener Bahn- transport des Gardereservekorps, des XI. Korps und der 8. Kavalleriedivision nach dem Osten  (s.o.) [G], S. 118. Nach Neitzel, Blut und Eisen, S. 49, hatte die 8. Armee nicht um Unterstüt- zung gebeten. Im Gegensatz zur Darstellung von Groß (S. 118) war Moltke nicht durch den russischen Vormarsch zur Verlegung der Ar- meekorps "gezwungen" worden. Er hatte ein- fach falsch reagiert (s.o.).

 

Anstelle dieser hier links stark verkürzten, nur zum Abschluss notwendigen Darstellung kön- nen im Internet vielfältige Quellen zu den bis Jahresende 1914 erfolgten Ereignissen einge- sehen werden. Hier sollen Ursachenanalysen betrieben und Alternativen vorgelegt, aber nicht endlos Fakten aneinandergereiht werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Persönliche Überlegungen (soweit es sich nicht um allgemein bekannte Fakten handelt).

Die Türkei hatte sich zunächst der Entente an- gebiedert (McMeekin, Literaturangabe 1. Teil 4. Kapitel "1890 - 1897", S. 114f), obwohl bereits ein Bündnisvertrag mit Deutschland existierte (ds., S. 108), war aber abgeblitzt.

Den türkischen Kriegseintritt erkaufte Deutsch- land mit umfangreichen Waffenlieferungen und Gold im heutigen Wert von etwa einer Milliarde Dollar (ds., S. 119f).

 

 

Einnahme Basras durch die Briten am 22.11. 1914, zur Schlacht um die Stadt existiert ein Wikipedia-Eintrag.

 

 

 

 

 

Infolge der allgemeinen Zugänglichkeit von Wi- kipedia und der Komplexität der Ereignisse se- he ich eine Auseinandersetzung mit den auf- geführten Einträgen als sinnvoll an.

 

 

 

 

 

 

S.o. [S], S. 178f.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übereinstimmende Lageanalyse durch Hentsch,

Bülow und dessen Stab [S], S. 271ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Persönliche Beurteilung.

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere persönliche Überlegungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schlieffen war die fatale Möglichkeit des Ent- kommens der Franzosen (die britischen Ver- bündeten erwähnt er nicht) nach dem Süden bewusst ([G], S. 93).

 

 

Referieren wir der Fairness halber, dass der entsprechende Wikipedia-Eintrag den Vermerk "bedarf einer Überarbeitung" trägt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anscheinend im Gegensatz zu seinem Onkel

(s. Eingangszitat zu diesem Kapitel).

 

 

 

 

 

 

Neitzel, Blut und Eisen, S. 61. Canis, s.o., S. 686.

 

 

Zur Verunsicherung des Armeeoberkommandos

6 infolge gravierender Kommunikationsproble- mit der Obersten Heeresleitung s. Storz, s.o.,

(u.a.) S. 165, 188ff, 199f.

 

 

 

 

 

 

 

 

Russische Einschätzung Österreich-Ungarns Kusber, s.o., S. 264.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hierzu und zum letzten Satz des oben anschlie-

ßenden Blocks Rauh, a.a.O., S. 59ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum kaiserlichen Charakter z.B. Canis, S. 17ff. Zu Bethmann Hollweg existiert eine Biographie Klaus Hildebrands mit dem entsprechenden Ti- tel. Zur Titulierung Moltkes zitiert Förster, s.o., eine entsprechende Schrift Groeners. Zum "deutschen Genius" gibt es eine Veröffentlichung

des Eingangs dieser Arbeit zitierten Peter Wat- son. Da diese bis Papst Benedikt XVI. reicht, wäre interessant zu wissen, ob Watson (außer den zu erwartenden Manstein und Rommel) irgendein politisches oder militärisches deut- sches Genie der Zeit 1890 - 1945 aufführt.

 

 

Nichtauffinden eines insbesondere der Zeit Reichskanzler Bülows zugeschriebenen Kon- zepts zur Errichtung der deutschen Hegemonie konstatiert von Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, R. Oldenbourg Verlag, Mün- chen 2000, S. 161.

Lansdowne bei Canis, S. 86.

 

 

 

 

 

 

 

 

[Diese Überlegung, nach der die Ausführung des Schlieffen-Moltke-Plans nur der erste Zug in einem doch länger angesetzten Krieg war, wur- de auch schon anderweitig angestellt. Leider ging mir das entsprechende Zit