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Warum wurde Hitlers Kanzlerschaft nicht verhindert?

Jemand hat einmal  "Mein Kampf" als "meistungelesenen deutschen Bestseller" bezeichnet. Wie dem auch sei - hätte man "Mein Kampf" gelesen, und richtig ver- standen, wäre klar gewesen, wohin die Reise geht.   Es wurde und wird noch immer davon ausgegangen, Hitler hätte sich wenigstens subjektiv für Deutschland engagiert. Aus dem vorangegangenen Kapitel ergibt sich, dass das nicht sein kann. Mit seiner geifernden Aggressionsrhetorik gewann Hitler jedenfalls viele Wählerstimmen, auch wenn seine NSDAP in freien Wahlen nie die absolute Mehr-

heit errang.  Um zu regieren, brauchte er zunächst Koalitionspartner.

 

Genauso, wie Hitler als überhaupt als Politiker "gemacht" wurde (siehe hierzu das zweite Kapitel dieses Teils), wurde  er auch buchstäblich zum Reichskanzler ge- macht. Ihn zu verhindern wäre nicht unmöglich gewesen. Aber man hatte ihm und seinen Nazis  eine bestimmte Funktion zugedacht.

 

Bei der Wahl zum Reichspräsidentenamt 1932 gewannen mit Hitler und Hinden- burg zwei Exponenten der äußersten Rechten die große Stimmenmehrheit. Hindenburg erzielte seinen Sieg nicht zuletzt infolge der Unterstützung durch die SPD. Aus seiner Sicht verständlich, war er darüber not amused. Die Wahlerfolge der Nationalsozialisten eröffneten den alten Eliten, dem Geburts- und Geldadel sowie der Reichswehr, die Möglichkeit, die Linke, inklusive der Sozialdemokratie, als politischen Einflussfaktor loszuwerden, ungeachtet dessen, dass die Sozial-demokratie 1918/19 der Bourgeoisie den Hals gerettet hatte.

 

Als (zunächst) entscheidender Akteur trat General Kurt von Schleicher, wenn auch ungern in Erscheinung, sondern wie es seinem Namen entsprach, gern im Hintergrund auf. Schleicher, ein politischer Ziehsohn General Groeners, hatte sich bei Hindenburg eingeschlichen und diesen veranlasst, den Kurs in Richtung einer autoritären Präsidialregierung zu  nehmen. Über Umwege veranlasste Schleicher Hindenburg, den letzten "demokratischen" Reichskanzler Brüning zu entlassen, an seiner Stelle Schleichers alten Generalstabskameraden Franz von Papen, bis dahin politisch wenig bekannt, zu ernennen, das von Groener (in seiner Funktion als Innenminister zwischenzeitlich) ausgesprochene Verbot der SA aufzuheben und den Reichstag aufzulösen.

 

Die Abkehr vom Parlamentarismus sollte mit dem "Preußenschlag", der Absetzung der letzten sozialdemokratischen Landesregierung, die nach Landtags- wahlen keine Mehrheit mehr besaß, weiterbetrieben werden. Ziel war auch, die Kontrolle der autoritären Kräfte über die preußische Polizei zu erlangen, die der Reichswehr an Köpfen kaum nachstand und andernfalls dem geplanten Umbau des Systems hätte im Weg stehen können.

 

Schleichers Plan sah so aus, dass Papen eine rein auf die Notverordnungen des Präsidenten und die Duldung der Nazis gestützte Reichsregierung führen sollte. Dafür hatte Schleicher  sich Hitlers mündliche Zusage eingeholt. Allein, Hitler hielt sich nicht daran. Im August 1932 forderte er vehement das Kanzleramt für sich, was von Hindenburg ebenso vehement abgelehnt wurde.   Nachdem sich Hitler in keiner Form zum Juniorpartner machen ließ,  sah der Alternativplan Schleichers so aus, dass der Reichstag erneut aufzulösen war, Neuwahlen aber mit der Berufung auf einen "Staatsnotstand" auf unbestimmte Zeit verschoben werden sollten. Papen hätte so theoretisch unbegrenzt weiterregieren können. Aber der neue Reichstagspräsident Göring ignorierte Papens Wortmeldung hierzu und sorgte dafür, dass über ein von der KPD eingebrachtes Misstrauensvotum abgestimmt wurde. Nachdem über 90 % der Abgeordneten gegen die Regierung votierten, war ihr für ein Weiterregieren  jede Grundlage entzogen. Innerhalb der verfas- sungsmäßig vorgeschriebenen Frist mussten Neuwahlen angesetzt werden.

 

Die neue Abstimmung vom 06.11.1932 brachte zwar  gewisse Verluste für die Nazis, aber keinerlei Änderung der Verhältnisse. Somit stand eine erneute Anwendung des Staatsnotstands-Konzepts im Raum. Für die Absicherung eines "Kampfkabinetts Papen" aber befürchtete Schleicher, seine Reichswehr gegen die Nazis einsetzen zu müssen. Bürgerkriegsähnliche Zustände wären die Folge ge- wesen. Noch wesentlicher  war allerdings, dass zwischenzeitlich ein Bruch zwi- schen Papen und Schleicher eingetreten war. In gesellschafts- wie in verfas- sungspolitischer Hinsicht offenbarte sich ein tiefer Graben zwischen den beiden politischen Partnern, aus denen nun unversöhnliche Gegner wurden. Im Kampf gegen die Nazis hätte sich die Reichswehr für Papens Ziele schlagen müssen, nicht für die des Wehrministers und ehemaligen Generals Schleicher. Als das Kabinett bei diesen Aussichten nicht Papen, sondern Schleicher folgte, nahm Papen seine erneute Nominierung zum Kanzler nicht an. Das Amt übernahm nun Schleicher selbst.

 

 

 

 

 

 

Im Grunde wusste aber auch Schleicher nicht, wie es weitergehen sollte.  Das von ihm entwickelte "Querfront-Konzept" war irgendwie die Illusion der auf die Politik übertragenen Einigkeit eines Generals mit seinen  Männern. Dazu wollte er einerseits die linken Kampfverbände auf seine Seite ziehen, andererseits die Nazis spalten, indem die SA und der linke "Strasser-Flügel" der NSDAP in das Konzept eingebunden werden sollten.  Schleicher hätte seine geplante autoritäre Herrschaft also im Wesentlichen neben der Reichswehr auf den politischen Pöbel gestützt. Gregor Strasser aber konnte sich zu einem Bruch mit Hitler nicht durch- ringen. Schleicher war gescheitert.

 

 

 

 

 

Schleichers Pläne konnten im Übrigen der konservativen Kamarilla, deren Privi- legien sein staatssozialistisches Konzept bedroht hätte, nicht recht sein. Als Expo- net dieser Elite witterte Papen nun Morgenluft, konnte sich für seinen Sturz rächen und seinerseits Schleicher stürzen. Das letzte Hindernis auf diesem Weg war Reichspräsident Hindenburg, der es noch im Sommer 1932   vehement abge- lehnt hatte, Hitler zum Reichskanzler zu berufen. Aber Hindenburg war in- zwischen über einen Grundstücksskandal, in den er verwickelt war, erpressbar geworden. Die neue Regierung, mit Hitler als Kanzler und Papen als dessen Vize, versprach, weitere den Reichspräsidenten belastende Enthüllungen zu verhin- dern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Soviel zur "Machtergreifung" Hitlers. Die Selbsttäuschung der Konservativen, Hit- ler "einrahmen" zu können, schließlich gehörten seinem ersten Kabinett nur zwei weitere Nazis als Minister an, erwies sich jedenfalls bald als solche. Papen war nicht der Mann, Hitler entgenzutreten, und mit der Parade des "Tages von Pots- dam", der äußerlich die Unterordnung der Nazis unter das vom Militär dominierte Zeremoniell zeigen sollte, war es mit der Machtdemonstration der Konservativen auch schon vorbei. Den Konservativen erging es wie den "Weißen" in der russi- schen Revolution. Sie scheiterten, weil sie kein Konzept hatten. Die Nazis hatten eins.

 

Reichswehr und SA als "Staat im Staate" hätten Hitler als bewaffnete Machtfak- toren weiterhin gefährlich werden können, vor allem dann, hätten sie sich im Nachinein doch noch irgendwie zusammengeschlossen. Insofern wirkte Schlei- chers "Querfront-Konzept" weiter nach. Konsequenterweise wurden mit der Säu- berungsaktions des "Röhm-Putsches" SA-Führer Röhm, Gregor Strasser und  als Exponent der Reichswehr Schleicher beseitigt (diese als prominenteste Opfer), Papen als Botschafter nach Österreich abgeschoben. Hindenburg gab der Aktion sozusagen als letzte Amtshandlung von Bedeutung seinen Segen und verstarb kurz darauf. Hitler okkupierte nun auch noch sein Amt. Er war am Ziel und konnte nun Deutschland in den Abgrund führen.

 

Zu diesem Kapitel stehen aus Wikipedia um- fangreiche Einträge zur Verfügung. Man kann die hier enthaltenen Informationen aus denen zu Hindenburg, Papen, Schleicher und Strasser  sowie den weiteren hier aufgeführten heraus- lesen, wenn auch nicht in der hier gewählten kompakten Form. Weiter wird hier verwendet:  Wolfram Pyta: Verfassungsumbau, Staatsnot- stand und Querfront: Schleichers Versuche zur Fernhaltung Hitlers von der Reichskanzlerschaft

August 1932 bis Januar 1933. In: Gestaltungs- kraft des Politischen, Festschrift für Eberhard Kolb, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1997, dort S. 173 - 197.

Nach Pyta war "...die nationalsozialistische Herrschaft alles andere als unvermeidlich." (S. 197).

 

 

 

 

 

Wikipedia, i.F. [W], zu Schleicher (Anm. 4, 5). Die SPD hatte sich dem von Schleichers Reichswehrministerium betriebenen Aufrüs- tungkurs widersetzt.

 

 

 

 

Schleicher war mit Hindenburgs einflussreichem

Sohn Oskar befreundet (Pyta, S. 175). 

 

[W] zu Schleicher. Es handelte sich um eine zielgerichtete Zerstörung der parlamentarischen Basis des Regierungssystems (Pyta, S. 176).

 

 

 

 

 

"Preußenschlag" bei Pyta S. 177.

 

 

Ds. S. 181 Unabdingbarkeit der Einbeziehung der preußischen Polizei in die Abschirmung des Regierungskurses.

 

 

Juristische Untermauerung dieser Vorgehens- weise durch Vetraute Schleichers ds., S. 179ff.

Mündliche Zusage Hitlers und deren Nichteinhal-

tung [W] zu Schleicher. Hitlers Machtanspruch und dessen Zurückweisung durch Hindenburg am 13.08.1932 Pyta, S. 175.

 

 

 

 

 

Papen hatte die präsidiale Auflösungsorder auf Görings Pult gelegt ([W] zu Papen). Inwieweit er sich damit dillentantisch verhielt (Pyta, S. 183) kann ohne aufgezeigte Handlungsalternative nicht ohne weiteres nachvollzogen werden. Es sieht so aus, als ob ihn Göring nur ausgetrickst hatte.

 

Ds., S. 185.

 

 

Ausdruck "Kampfkabinett" ds., S. 189.

 

So ergab es ein von Schleichers Amtschef initi- iertes Planspiel der Reichswehr (ds., S. 184f).

 

Papen war Vertreter der Eliten, Schleicher je- doch des sozialen Ausgleichs (ds., S. 184). Eb- enso wollte Papen die Staatskrise zu einer mo- narchischen Restauration nutzen, worin er sich mit Hindenburg einig wusste (ds., S. 190, 194). Schleicher dagegen suchte keinen in eine Dik- tatur führenden Verfassungsbruch, sondern ei- nen Verfassungswandel in Richtung auf ein de- mokratisches Präsidialsystem. Die Verfassung sollte dazu aus der Übergangsphase der Krise durch extensive Auslegung gewandelt hervorge-

hen (ds., S. 192).

Papens Absage infolge der von Schleicher vor- getragenen Ergebnisse des o.a. Planspiels ds.,

S. 190.

 

 

"Querfront-Konzept" Schleichers ds., S. 185f, dessen Parallele zum Soldatenleben S. 187. Mit dieser Planung führte Schleicher seine anfäng- liche Zielsetzung der Ausschaltung der Linken ad absurdum (persönliche Einschätzung).

 

Nach [W] zu Strasser entschied dieser sich fast

zeitgleich zu Schleichers Amtsantritt (03.12. 1932) mit dem Rücktritt von seinen Parteiämtern

gegen eine Zusammenarbeit (08.12.1932). Er ließ sich auch durch spätere Bemühungen Schleichers, etwa in Form eines Zusammen- treffens mit Hindenburg, nicht umstimmen ([W] zu Strasser und Schleicher).

 

"Errichtung einer Volksordnung auf staatssozia- listischem Fundament", Pyta S. 187.

Einigung Hitlers mit Papen anlässlich eines Tref-

fens im Haus des Kölner Bankiers Schröder am 04.01.1933 [W] zu Papen. Damit Schulter- schluss zwischen alten konservativen Eliten, führenden Wirtschaftskreisen und den sonst von ihnen als proletarisch verachteten Nazis.

Papen war es gelungen, wegen Schleichers Querfront-Konzept dessen Stellung bei Hinden- burg zu unterhöhlen (Pyta, S. 195). Auch von der Reichswehr hatte Schleicher nichts mehr zu

erwarten, weil in der neuen Konstellation mit den

Nazis an der Macht für die Streikräfte jeder Bür- gerkriegseinsatz entfiel (ds., S. 196).

Zum "Osthilfe-Skandal", betreffend auch Hinden-

burgs Gut Neudeck in Ostpreußen existiert ein eigener Wikipedia Eintrag (spez. Anm. 7), der in dem zu Hindenburg verlinkt ist. Auch die Hinden-

burg nahestehenden ostelbischen Großagrarier machten (als ebenfalls Betroffene) Druck, die Enthüllungen zum  "Osthilfe-Skandal" einzustel- len (vorstehender Satz <Nachtrag 19.02.2017>,

S. 137 bei Heinrich August Winkler in "Die deut- sche Abweichung vom Westen. Der Untergang der Weimarer Republik im Lichte der Sonder- wegs-These", selbe Schrift wie Literaturhinweis "Pyta" s.o.).

 

 

Papens "Plan", Hitler "einzuhramen", in [W] zu Papen, dort folgend seine Selbstentmachtung.

Die von Hindenburg und dem im Stechschritt paradierenden Militär in "Potsdam" symbolisierte

Glorifizierung Preußens inklusive Hitlers tiefer Verbeugung vor Hindenburg war in Wirklichkeit von Goebbels inszenierte Nazipropaganda.

 

Persönliche Schlussfolgerung.

 

 

 

"Querverbindungen zur Querfront" werden im Bezug auf den "Röhm-Putsch" selten herge- stellt. In [W] zum Röhm-Putsch fehlt der Begriff. Allerdings findet sich dort der Satz "Hitler be- gründete [Goebbels gegenüber das Vorgehen], es gebe Beweise, dass Röhm zum Zwecke des Hoch- und Landesverrats mit [dem französisch- en Botschafter] François-Poncet, Schleicher und Strasser konspiriere."

Die Authentizität von Hindenburgs "anerkennen- der Botschaft" wird in [W] zum Röhm-Putsch angezweifelt.