© Holger Bergmann 2015 - 2023

Andreas Krämer: Hitlers Kriegskurs, Appeasement und

die >Maikrise< 1938

Wie bereits im dritten Kapitel dieses Teils ausgeführt, existiert zur "Mai-" oder "Wochenend-Krise" kein eigener Wikipedia-Eintrag. Dabei ist das Verständnis die- ser Krise grundlegend wichtig für dasjenige der Entwicklung zum Zweiten Welt- krieg, die durch diese Krise erst richtig in Gang kam. Andreas Krämer hat hierzu eine Dissertation vorgelegt, in der er die Ereignisse aus allen möglichen Blick- winkeln beleuchtet und die mit "summa cum laude" zu Recht hervorragend bewer- tet wurde. Was war genau passiert?

 

Scheinbar aus heiterem Himmel hatte die tschechoslowakische Regierung zum 21.05.1938 die teilweise Mobilmachung ihrer Truppen verfügt, die daraufhin in ihre Bereitstellungsräume  an der deutschen Grenze, die überwiegend von Sude- tendeutschen bewohnt wurden und alsbald einem besetzten Gebiet glichen, ein- rückten. Ein deutscher Angriff  hätte unmittelbar bevor gestanden, hieß es. In Deutschland aber wusste man von nichts. Insbesondere britische diplomatische Anfragen zur "Sache" und eine eindringliche Warnung des britischen Außenmin- isters Halifax vor Alleingängen an Berlin (Zitate hierzu s.u.) erzeugten deut- scherseits erheblichen Unmut. Nur die  unerschütterliche Festigkeit der Tsche- choslowakei und der Westmächte hätte Hitler aufgehalten, hieß es anschließend in der internationalen Presse. Woraufhin der düpierte Hitler sozusagen Rache schwor und beschloss, sich die Tschechoslowakei bei nächster Gelegenheit tatsächlich vorzunehmen. Die Krise als solche aber war so schnell vorbei, wie sie gekommen war.

 

An sich wäre die Sache nichts weiter als eine Bagatelle gewesen, und so wird sie wohl bis heute in ihrer Bedeutung weit unterschätzt. Das kann aber nur gesche- hen, soweit man diese Krise isoliert betrachtet. Wie aber bereits in der gesamten Argumentation dieser Arbeit ausgeführt, sind Einzelereignisse keine, sondern stets Perlen auf einer Schnur der Gesamtentwicklung. Bei näherem Hinsehen er- weist sich die Maikrise als durch Großbritannien gesteuerte Intrige, ähnlich dem "Balkanbrandprojekt" des britischen Premierministers Salisbury von 1895, geeig- net, die bereits langsam in Gang befindliche Entwicklung zu einem Weltkrieg zu beschleunigen (wobei Deutschland, wie damals, getreulich mitmachen würde).

 

Die Entscheidung der tschechoslowakischen Regierung, ihre Truppen mobil zu machen, beruhte jedenfalls auf bei ihr eingegangenen Falschmeldungen des bri- tischen Geheimdienstes. Diese resultierten aus Aktivitäten des gegenüber Deutschland besonders feindlich eingestellten früheren Staatssekretärs im Außenministerium, Sir Robert Vansittart, der in dieser Position auch das Amt des Geheimdienstkoordinators innegehabt hatte. Er war zwar inzwischen auf den Posten eines Chefberaters weggelobt worden, blieb aber sowohl zu den "Offiziellen" als auch zu seinem von ihm selbst auf dem Kontinent unterhaltenen Spitzelnetzwerk in bester Verbindung. Da seine Spione weder etwas "gesehen" haben konnten noch zu koordinierten Falschmeldungen in der Lage waren, liegt die Vermutung nahe, Vansittart selbst habe sie zu ebensolchen Meldungen erst angestiftet. Der tschechoslowakischen Regierung war jedenfalls bereits am Abend des 20.05.1938 bekannt, dass die Meldungen falsch waren und deutscherseits keine Gefahr drohte. Sie meinte jedoch, eine willkommene Gelegenheit zum Zei- gen von Stärke nutzen zu können. Die folgende Aufregung war  heftig (s.o.).

Wer Halifax zu dessen Demarche gegenüber Deutschland (S. 311f, 336) veran- lasst hatte, war auch niemand anderes als Vansittart gewesen (S. 260, er konnte mit seiner Wichtigtuerei gerade noch seine Abschiebung auf den Botschafterpos- ten in Washington verhindern, weiteres S. 266f, 271).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn  Beneš und Vansittart die Meinung vertraten, mit ihren absurden Aktionen dem Frieden gedient zu haben, mögen sie das in ihren beschränkten Sichtweisen ehrlich empfunden haben. In Wirklichkeit hatten sie Hitler  nur provoziert. Sollten sie das nicht vorhergesehen haben, dann waren andere sehr wahrscheinlich dazu in der Lage. Insbesondere Vansittart  hatte wohl den Appeasern als nützlicher Idiot gedient, indem er nicht bekam, was er erklärtermaßen wollte, nämlich die Ab- schreckung Hitlers, sondern das, was sie wollten, nämlich die alsbaldige Mit- arbeit Hitlers bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei. Die Appeaser sollten jedenfalls die Krise auf ihre spezielle Art nutzen.

 

Warum Beneš die Falschmeldungen als solche bekannt waren, nicht jedoch der britischen Regierung, aus deren Kreisen sie stammten, erschließt sich aus der vorliegenden Quelle nicht. Der Sachverhalt hätte  aber früher oder später in Lon- don bekannt werden müssen. Dann wäre eine dicke Entschuldigung bei Deutsch- land und eine Bestrafung der Verantwortlichen angezeigt gewesen, Vansittart hät- te gewiss das passende Bauernopfer dafür abgegeben, um Hitler zu besänftigen. Aber nichts dergleichen ereignete sich.  Chamberlain gab sich weiter überzeugt, nur die Festigkeit seiner selbst und seines Landes hätte eine kriegerische Katas- trophe verhindert. Stattdessen blieben die aufgebauschten Pressemeldungen ohne Dementi. Der vom deutschen Außenstaatssekretär Weizsäcker konstatierte "psychologische Irrtum" der Weltpresse war insofern keiner (eigene Schlussfolge- rung).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dass Vansittart im Grunde in Übereinstimmung mit seiner Regierung handelte, zeigen Versatzstücke, die die Situation bereits  im Monat vor der Krise  (April 1938) auf britische Initiative angeheizt hatten: Pressepropaganda gegen und diplomatischer Druck auf die Tschechoslowakei. Ebenso hatten die Appeaser noch im selben Monat eine Warnung an Deutschland konzipiert, wenn auch nicht abgesandt. Für die Appeaser war die Krise also bereits Realität, bevor irgend jemand  sonst davon mitbekam bzw.  Vansittart sie Wirklichkeit werden ließ.

 

 

 

 

Soweit die Krise also tatsächlich dazu diente, Hitlerdeutschland anzustacheln, hatte sie auch noch eine transatlantische Dimension, als sie dieselbe Wirkung absehbar bei Roosevelt entfaltete.  Was die Fortsetzung der eigenen britischen Strategie anging, verstärkten sich fortan zwei Handlungsstränge. Zum einen, da  man sich im  Gegensatz zu den öffentlichen Verlautbarungen keine Friedensillusi- onen machte, der britische Aufrüstungskurs. Zum  anderen wurde in Großbritan- nien ein Plan zur Neutralisierung der Tschechoslowakei ausgearbeitet. Eine "Mün- chen"-Strategie gab es also schon im "Mai"  und lange vor "München", weiteren Drucks seitens Hitlers bedurfte es dazu nicht (hierzu auch u.).

 

Zu den Verdiensten Krämers zählt weiter, dass er sich mit den Folgewirkungen der Maikrise auf die Sudetenkrise befasst. Chamberlain, dem die Wochenend- krise das Wochenende versaut hatte, zeigte seinen "Friedenswillen" deutlich da- durch, in dem er ausdrückte, was er von seinen zukünftig-vorübergehenden deut- schen Partnern hielt, nämlich nichts. Halifax erwies sich als eigentlicher Gewinner der Krise, in dem sie ihm die Gelegenheit zu überlegener  "Moderation" bot, wo es im Grunde nichts zu moderieren gab. Vansittart schloss sich einerseits nun dem Pressionskurs gegen die Tschechoslowakei an, wo er zuvor noch versucht hatte, den Sudetenführer Henlein einzuschüchtern. Der konterte geschickt mit dem Verweis auf tschechische Eiferer als eigentliche Gefahr.

 

 

 

 

 

 

 

 

In Deutschland "empfand man schwer" über die Krise, insbesondere war Hitler, den  man sozusagen mit Dreck beworfen und dann mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte, in  einer Weise sauer, wie es außer ihm wohl nur andere Psychopathen sein können. Aus seinem bis dahin nur latenten Kriegskurs wurde nun ein konkreter. Polen wiederum war dem Westen und der Tschechoslowakei keine Hilfe (was aber auch nicht wundert, wenn man westlicherseits gar keinen Stabilisierungskurs zugunsten der Tschechoslowakei fuhr). Die Umsetzung der bisherigen britischen Überlegungen mündeten schließlich bereits Ende August 1938 in eine konkrete Strategie zur Aufteilung der Tschechoslowakei, also bereits einige Tage vor Hitlers Reichstagsrede vom 12. September. Führt man sich interne britische Vorschläge zur Herabstufung der "Rest-Tschechei" als "deutscher Satellitenstaat" vor Augen, versteht man die harsche britische Reaktion auf die Herbeiführung dieser Situation im März 1939 nur noch vor den bereits im vierten Kapitel dieses Teils beleuchteten Hintergründen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Krämers Arbeit ist weiter außerordentlich reich an sonstigen Details, deren Zu- sammenhänge, in denen Krämer sie erzählt, für unsere Zwecke wenig nutzen, die aber für ein Gesamtbild interessante Motive ergeben. Deshalb sollen sie hier in aufzählender Form dargestellt werden.

 

Erstaunlich ist, wer sich im Laufe der Zeit alles unter die Appeaser eingereiht hat. Da ist zunächst Hitler selbst zu nennen, der seine Machtverstärkung mit  "Frie- densbeteuerungen zur Beschwichtigung der Nachbarstaaten" abgesichert, und, bis eben zur Maikrise, einen Kurs der "Revision ohne Krieg" verfolgte. Sodann ap- peaste selbst unser spezieller Freund  Vansittart, und zwar gegenüber Italien be- züglich Abessiniens, um es von Deutschland fernzuhalten. Mussolini seinerseits war zwischenzeitlich auf Konsolidierungskurs und appeaste Großbritannien über ein neues Abkommen im April 1938.

 

Frankreich bezeichnet Krämer [ausgerechnet] nach der Ruhrkrise von 1923, die es doch zur Beschlagnahme deutscher Kohlenbestände heraufbeschworen hatte, als "erschöpft".  Dass von einer eigenständigen französischen Außenpolitik keine Rede mehr sein konnte, Frankreich sich stattdessen völlig im britischen Schlepp- tau befand, führt Krämer an mehreren Stellen aus. Großbritannien wiederum hatte sich infolge des Ersten Weltkriegs in schweren wirtschaftlichen Problemen befun- den.

 

 

 

Krämer geht konform mit Klaus Hildebrand, der für die 30er Jahre einen neuen "britisch-sowjetischen Weltgegensatz", damit eine Neuauflage des "Great Game" [und damit implizit eine Wiederaufleben der "Chimärenfurcht"] konstatiert. Im Jahr 1936 sah sich Großbritannien veranlasst, noch einmal mit der Türkei eine Allianz in der Meerengenfrage (gegen entsprechende sowjetische Vorstellungen) zu bil- den. Ein zur Eindämmung Hitlers geeignetes sowjetisches Bündnisangebot vom 17.03.1938 hatten die Appeaser zurückgewiesen (das militärisch allerdings Zwei- fel rechtfertigte, nach den Säuberungen befand sich die Rote Armee vorüberge- hend in einem kläglichen Zustand). Außenminister Litwinow sprach die sowjeti- sche Furcht vor "Chimären-Gegenmaßnahmen", nämlich die Herbeiführung eines deutsch-sowjetischen Kriegs durch die Westmächte, vor dem Völkerbund in Genf offen aus, es brauchte also kein informierter Zeitgenosse von dieser Möglichkeit überrascht zu sein.

 

Der tschechoslowakische Präsident  Beneš wiederum hatte für den Fall der Zer- störung der Tschechoslowakei den Hitler-Stalin-Pakt, mit den sich daraus erge- benden Auswirkungen, prophezeit. Auch diese  Entwicklungsmöglichkeit musste den westlichen Anführern lange bekannt sein, Stalin wurde also kaum, wie Krämer meint, "ungewollt" von ihnen in Hitlers Arme getrieben.

 

Ein interessantes völkerrechtliches Konstrukt stellt die so genannte "Leamington- Formel" dar, so etwas wie die Übersetzung des Spruchs "Not kennt kein Gebot" ins Diplomatische.  Demnach entscheiden in Fragen von Krieg und Frieden nicht nur legale Verpflichtungen (die Tatsache, dass diese Formel vom Anti-Appeaser Eden geprägt und von den Appeasern Chamberlain und Halifax verwendet wurde, zeigt die grundsätzliche Verbundenheit der beiden Lager).

 

Zu Vansittarts Spießgesellen zählt eine Reihe von Figuren (zu nennen sind neben anderen die Namen Christie und Conwell-Evans), die beim Scheitern der deutsch- en Friedensvorstöße, behandelt im fünften Kapitel dieses Teils, wieder eine Rolle spielen. Das Scheitern wundert unter diesen Voraussetzungen wenig.  Ebenso wenig wundert eine Neuauflage der Behauptung deutscher Angriffsabsichten durch den (bekanntermaßen von Vansittart beeinflussten) britischen Geheim- dienst im Rahmen der Prager Krise vom März 1939.

 

 

Schlussendlich zu dieser Aufzählung soll ein Blick auf die sich in der Folge der Krise ergebenden Vorstellungen Hitlers geworfen werden, egal, wie absurd diese wieder erscheinen. Er meinte, ein kurzer, siegreicher Krieg gegen die Tschecho- slowakei,  in den die Westmächte nicht erfolgreich hätten eingreifen können, hätte diese so sehr an Prestige gekostet, dass diese ihm ansonsten hätten freie Hand lassen müssen. Zu einem auf die Beseitigung der Tschechoslowakei folgenden "Westkrieg" hätte er am liebsten seinen Militärs noch 4 Jahre Vorbereitungszeit gegeben. Und Polen als "Verbündeten" stellte er sich nicht nur bekanntermaßen für einen Vorstoß nach Osten, sondern auch für diesen "Westkrieg" vor!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hitlers Prestige jedenfalls spielte, wie bereits im vierten  Kapitel dieses Teils aus- geführt, für den Kriegsausbruch eine entscheidende Rolle. Vor der Alternative, Hitler zwischen Prestigeverlust und Krieg wählen zu lassen, hatte Botschafter Henderson seine Oberen gewarnt. Doch genau so gingen sie dann vor.

 

 

 

 

Militärisch gesehen war der "Widerstand" Großbritanniens gegen eine  angebliche deutsche gewaltsame Expansion im späten Frühjahr 1938 noch der eines wider- standsunfähigen Landes. Es handelte sich damit um einen Bluff, einerseits zum Zeitgewinn, um das Land aufzurüsten und für eine spezielle Art Krieg bereit zu machen,  mit der es den Gegner (Deutschland) nicht selbst zu besiegen, sondern nur dazu beizutragen braucht, andererseits um Zeitdruck auszuüben, um auf der eigenen Seite das Gefühl der Kriegsgefahr zu erzeugen, auf der Gegenseite je- doch eine Kalkulation auf die  vorüberstreichende Gunst der Stunde zu moti- vieren. Die "allgemeine Weltlage", die Hitler glaubte nutzen zu können, war inso- fern erst von den Westmächten, Großbritannien an erster Stelle,  geschaffen wor- den.

 

Es gab  jedenfalls keinen moralischen Grund für die Westmächte, die Tschecho- slowakei sozusagen im vorauseilenden Gehorsam vor Hitler zu opfern, insbeson- dere vor der Maikrise keinerlei passend gerichteten Druck  seitens Hitlerdeutsch- lands. Wer die traditionelle Auffassung von "Appeasement" vertritt, bleibt diesem Widerspruch verhaftet: einerseits gab man 1938 der Tschechoslowakei keine Ga- rantie, weil man  ihr (angeblich) nicht helfen konnte. Andererseits  gab man Polen 1939 eine Garantie, obwohl man Polen (angeblich) ebensowenig helfen konnte.

 

 

 

 

Die traditionelle Auffassung von Appeasement vertritt leider auch Andreas Krä- mer. Im Gegensatz zu ihm bin ich nicht der Ansicht, Chamberlains Politik hätte auf falschen Prämissen beruht, sie war nach der in dieser Arbeit vertretenen Sicht- weise durchaus erfolgreich. Ebenso sind traditionell gepflegte Annahmen zur mili- tärischen Weltlage unbegründet: weder ist Russland "unendlich weit", noch ist das Potential der USA unerschöpflich. Was die auch hier tabubrechende Stellungnah- me zur andernorts fast stets vertretenen umfassenden Kriegsschuld Hitlers und der deutschen Politik angeht, kann man hier mit einem weiteren Zitat Hendersons schließen: "[i]t would be a grievous mistake to assume that Germany is always in every specific instance in the wrong."

 

Der eigentliche Verlierer von "1938" war Hitler, was er ganz genau empfand. Die britischen Appeaser hatten ihm zweimal dicke Striche durch seine Rechnung ge- macht, indem sie mit der Maikrise seinen Kurs der friedlichen, langfristigen Revisi-

on zunichte machten und ihn stattdessen zu einer Entwicklung zum Krieg an- stachelten und ihm mit ihrem Nachgeben in der Sudetenkrise die Möglichkeit eines lockeren  militärischen Triumphs vereitelten, der nach seiner Ansicht das politische Renommee in Europa entscheidend anders verteilt hätte. Wie wir be- reits im Hauptteil sahen, würde er auch 1939 ihren Schachzügen nicht gewachsen sein und dadurch mit seinem Land in einen Krieg geraten, den er so nicht gewollt hatte.

Andreas Krämer, Hitlers Kriegskurs, Appease- ment und die "Maikrise" 1938, erschienen bei Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 2014.

"Am 21. Mai wurde von der Tschechoslowakei, die zwischenzeitlich auch aufgerüstet hatte, eine

partielle Mobilmachung vorgenommen und zwei Reservejahrgänge einberufen...", lautet der ent- sprechende Text in den Wikipedia zur Sudeten- krise.

 

Kurzer Abriss der Ereignisse S. 4f, mit den Fol- gen Kriegspanik in den Hauptstädten Europas, "bestellte jüdische Pressehetze" (so der deut- sche Botschafter in Großbritannien Dirksen), fünfmalige Vorsprache des britischen Botschaf- ters Henderson zur Sache im Auswärtigen Amt, sowie äußerst negative deutsche Reaktion.

"Besetztes Feindgebiet" S. 230. Für Hitler lag ein

Vorgehen gegen die Tschechoslowakei noch En-

de April 1938 erst "in ferner Zukunft" (S. 112).

 

"Es ist mein unabänderlicher Entschluss, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch ei- ne militärische Aktion zu zerschlagen." (Hitler- Zitat S. 5).

 

 

 

Ausdruck "Bagatelle" S. 27.

 

 

 

 

Es gab bereits zeitgenössische Vermutungen zur Verantwortlichkeit des britischen Geheim- dienstes, S. 5, 238ff. Aber erst Krämer konnte den Nachweis führen (S. 241).

Zu Salisbury siehe Unterkapitel "1890 - 1987" im ersten Teil.

 

Die tatsächlich sehr komplexen Zusammenhän-

ge werden von Krämer in allen Einzelheiten be- trachtet. Den entscheidenden Beitrag lieferte die über Vansittart laufende Handlungsschiene (S. 241).

Stellung Vansittarts bis 1937 S. 248 Anm. 280,

"Karrieresprung" ds. u. S. 133.

 

Kontinuität der Geheimdienstverbindungen Van-

sittarts intern (S. 252f) und extern (S. 247f, 262).

Selbst wenn die zur Maikrise führenden Gerüch-

te nicht in Vansittarts Kopf entstanden sein soll- ten, sondern bereits in deutschen Oppositions- kreisen kursierten (S. 265f) und darüber letzten Endes den Weg nach Prag fanden (S. 204), gehörten eben diese Personen zu Vansittarts Kontaktnetz (S. 266). Vansittarts Verantwortung sieht etwa der polnische Botschafter in London Raczynski (S. 247, 267). Auch von Vansittart selbst liegt eine Art Geständnis vor: "I produced information on several occasions in May of the preparations actually made by the German Gov- ernement for the purpose of invading Czecho- slovakia" (S. 247), wobei es hier die Frage ist, wie man das englische Wort "to produce" zu übersetzen hat. Es kann in diesem Fall sowohl harmloserweise "vorlegen", in anderer Lesart aber "inszenieren" oder "verfertigen" bedeuten.

Zutreffende Einschätzung der Lage in Prag S. 224f, auf den Folgeseiten die Motivation für die letzten Endes für die Tschechoslowakei fatale Entscheidung zur Mobilmachung.

Deutscherseits gab es nicht mehr als routine- mäßige Truppenbewegungen (S. 187f, so ist meine Formulierung "ruhig in den Kasernen" im dritten Kapitel dieses Teils zu verstehen), die Lage im Reich war völlig entspannt (so Außen- staatssekretär Weizsäcker auf S. 283f), Aufklä- rungsfahrten der ausländischen Militärmissio- nen ergaben trotz intensiver und großflächiger Abdeckung des betroffenen Gebiets nichts (S. 188f, insbes. Anm. 20, 21, 22).

 

 

Zufriedenheit Benešs mit der Krise S. 339, Van- sittarts S. 237. Deutung von Vansittarts Motiven S. 241f, 257ff.

 

Persönliche Interpretation, bis einschließlich der ersten Hälfte des Folgeabschnitts.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S. 354ff, Chamberlain in mehrern Briefen an sei-

ne Schwestern. Obwohl "nach der Maikrise auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn", gab er sich erschüttert über die angeblich knapp

verhinderte Katastrophe und angewidert über die vermeintliche deutsche Unglaubwürdigkeit.

Bei ihm wie bei "der Mehrheit der Briten" herr- schte der Eindruck vor, nur die "britische Positi- onierung" hätte einen deutschen Überfall gerade

noch verhindert (S. 355f).

S. 346 der von Weizsäcker konstatierte "unver- zeihliche psychologische Irrtum der Weltpres- se".

Entfernt wurde der Übeltäter Vansittart aus dem diplomatischen Dienst nicht, stattdessen "Hali- fax overrode him quietly" (S. 367, als er gegen die u.a. Folgepläne opponierte).

 

 

 

Zur französischen und britischen (Regierungs- nähe der "Times" sieht Krämer auch für 1938, S. 370, keine Änderung zu früheren Zeiten sie- he etwa Buchbesprechung "Wormer" im ersten Teil) Presseaktivität S. 154 Anm. 750, S. 155 Verhandlungsforderungen der Botschafter Groß-

britanniens und Frankreichs zugunsten der Su- detendeutschen an die Prager Regierung, zur gleichen Zeit Entwurf einer Warnung vor einem Alleingang Deutschlands S. 477.

 

Roosevelts aggressive Reaktion, Verstärkung der "antideutschen Stimmung" und "tendenziel- ler Rückzug der Isolationisten" S. 331f.

 

Durch die Maikrise stimulierte britische Kriegs- planung S. 484f. Großbritannien bereitete sich auf einen langen Krieg vor (S. 94).

S. 364f bereits zum 24.05. Planungen von Hali- fax und Cadogan zur "Auflösung des Prager Bündnissystems" und "Überführung der Tsche- choslowakei in die außenpolitische Neutralität".

 

 

Cadogan hatte Halifax und Chamberlain nach London zurückgeholt (S. 283). Letzterer drück- te seinen Unmut wie folgt aus: "Those d[amned] Germans spoiled another weekend for me" (S. 312, eckige Klammer im Original) und "The fact is that the Germans who are bullies by nature are too conscious of their strength and our weakness and until we are as strong as they are we shall always be kept in this state of chronic anxiety" (S. 313, Brief an seine Schwester Hilda). Halifaxens "umsichtiges Agieren" S. 316, ein britischer Politiker verglich ihn gar mit Met- ternich (S. 317, Zeichen dafür, dass Halifax das Spiel überblickte). Anschluss Vansittarts an den Pressionskurs seiner Regierung gegen die Tschechoslowakei S. 271f. Henleins Besuch in London bei Vansittart und einer ganzen Reihe anderer ("who-is-who") Appeasement-Kritiker S. 134f, dessen von Goebbels gelobte Ge- sprächsführung S. 135.

 

Verlautbarung des deutschen Außenministeri- ums: "Daß wir vor allem die propagandistische Niederlage schwer empfunden haben, auch an maßgeblichen Stellen, ..." S. 294. Hitlers heftige Reaktionen S. 301ff, 373ff, Konkretisierung seines Kriegskurses S. 376, 424ff.

Polnische Zurückhaltung S. 322f, nach dem Er- sten Weltkrieg war das zwischen Polen und der Tschechoslowakei strittige Olsa-Gebiet, das nach "München" von Polen annektiert wurde, kurzfristig polnisch verwaltet gewesen, bevor es von tschechoslowakischen Truppen besetzt wurde (S. 66).

Aufteilungs-"Plan Z" (S. 26, nicht zu verwech- seln mit dem deutschen Flottenbauprogramm "Z-Plan", S. 23) in "streng geheimer Vorarbeit" 30.08.1938, S. 459. Als "Verschweizerung" titu- lierte Ausführungen des britischen Diplomaten William Strang nach einem Prag-Besuch Ende Mai, deren weitere Formulierungen aber die weit über einen "Schweiz-Status" hinausgehenden Absichten der Abtrennung der Sudetengebiete mit anschließender Angliederung an das Deut- sche Reich und die Degradierung des Restge- bildes beinhalten (S. 367).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wörtliches Zitat zu Hitlers Appeasement = Be- schwichtigung S. 35. "Revision ohne Krieg" S. 352.

Vansittart [der damit den alliierten Kurs zur Er- mutigung Deutschlands unterlief, siehe erstes Kapitel dieses Teils] S. 250. Italienisch-britisches

Abkommen S. 114.

 

 

Frankreichs Ermattung mit Übergang zur auß- enpolitischen Defensive S. 36.

 

Frankreich in britischer Abhängigkeit S. 33, 106,

307, 320.

Strukturelle Probleme von britischer Industrie und Handel, resultierend aus den Kriegsereig- nissen, S.88 (Argument gegen die häufig von revisionsitischer Seite vorgebrachte wirtschaft- liche Motivation für den Ersten Weltkrieg).

 

 

 

"Weltgegensatz" S. 36, folgend persönliche Schlüsse.

 

Meerengenfrage Thema der Konferenz von Mon-

treux 1936 S. 91.

Britische "klare Absage" an die Sowjetunion S. 101, 132 Anm. 633.

(Britische) Beurteilung der Sowjetstreitkräfte S. 129, Litwinows Worte ds. als Antwort auf die Frage eines tschechoslowakischen Diplomaten (gleichlautende "gängige sowjetische Verschwö-

rungstheorie" S. 79).

 

 

 

Zu Beneš S. 162.

 

 

M.e. Fehlbeurteilung Krämers S. 486 (meine Ar- gumantation zum Thema siehe viertes Kapitel dieses Teils).

 

"When peace and war are concerned, legal ob- ligations are not alone involved,..." S. 87, als ver-

klausulierte Warnung an Deutschland in einer Unterhausrede Chamberlains, S. 86f, 103, vom 24.03.1938 (S. 279). Edens Urheberschaft S. 87

Anm. 323. Anlehnung daran in Halifaxens o.a.

Drohungen gegen Deutschland vom 21.05. im Rahmen von Instruktionen an Henderson S. 279.

 

"Van's boys" S. 252, auf der Folgeseite u.a. die bei Ulrich Schlie (5. Kapitel dieses Teils) auftau- chenden Personen Ex-Reichskanzler Joseph

Wirth und Prinz Max von Hohenlohe, letzterer hatte bereits Ende 1934 den Kontakt zwischen Christie und Konrad Henlein vermittelt.

"Unmittelbar bevorstehende deutsche Angriffs- pläne" gelangten über eine "ähnliche Schiene" wie vor der Maikrise nach London, S. 469, ins- bes. Anm. 113.

 

Hitler hatte u.a. dieses seinem Privatsekretär Bormann anvertraut: "Damals [1938] war die letzte Gelegenheit, den Krieg abzugrenzen." (21.02.1945, S. 472). Weiter unten und Folge- seite: "Großbritannien und Frankreich, durch die Blitzartigkeit der Kriegführung überrascht und betroffen, hätten sich still verhalten, und das umso mehr, als wir die Weltmeinung auf unse- rer Seite hatten. Polen schließlich, die Haupt- stütze der französischen Politik in Osteuropa, stand auf unserer Seite. ... Nach einer gewaltsa-

men Lösung der Tschechenkrise konnten wir die

übrigen, in Osteuropa und auf dem Balkan noch

offengebliebenen territorialen Fragen regeln, oh- ne ein Eingreifen der anglo-französischen, in ihrem Ansehen als Schutzmächte schwer ge- schädigten Mächte zu befürchten. Wir selbst hätten die zu unserer eigenen moralischen und materiellen Rüstung erforderliche Zeit gewonnen

und einen zweiten Weltkrieg, wenn ein solcher dann überhaupt noch unvermeidlich war, um Jahre hinausgeschoben."

Vier Jahre Zeit "zur Vorbereitung auf die Abrech- nung mit dem Westen" nach "Lösung der tsche-

chischen Frage" S. 407. Polen war nach Hitler für eine "Weststrategie" zu gewinnen, S. 467.

 

 

 

Hendersons Warnung an London S. 458 (Ende August 1938. Noch kurz vor der Krise hatte er aber einerseits gemeint, Hitler wäre nur durch Krieg zu stoppen, S. 169, andererseits ihm je- doch friedliche Absichten unterstellt, S. 170. Die Appeaser kommen aus den Widersprüchen nicht heraus, wie man sieht).

 

 

Keine Möglichkeit zur Rettung der Tschechoslo- wakei konstatierte die britische Militärführung im März 1938 (S. 100). Krämer thematisiert die aus dieser Erkenntnis folgende "Doppelbödigkeit der Politik Londons" auf S. 102.

Motiv der britischen Aufrüstung bereits o. S. 484f. Bluff mit Konsequenzen sieht Hitler laut S. 380, die "allgemeine Weltlage schien mir [Hitler] günstiger als je zu sein für das Durchsetzen un-

serer Forderungen" (S. 381, dort auch das Zeit- druck-Motiv, dazu auch auf S. 433).

 

 

 

 

S.o. Zitat zu S. 112.

 

Zur Tschechoslowakei s.o. Chamberlains [m.e. bewusste] Fehlanalyse S. 354ff mit der Konse- quenz eines zwischenzeitlich [schein-] nachgie- bigen Kurses gegenüber Deutschland S. 356f.

Stellungnahme zum militärisch-politischen Ver- hältnis zwischen den Westmächten und Polen 1939 in der folgenden Buchbesprechung.

 

 

 

 

"Chamberlains Friedensinitiative beruhte indes auf falschen Prämissen", S. 460 (zu dessen Besuch auf Hitlers Berghof, kann aber m.e. ver- allgemeinert werden).

Aussagen zu den Weltmächten S. 473 (geostra-

tegische Überlegungen werden im sechsten Teil eine Rolle spielen).

 

S. 315, eckige Klammer im Original.