© Holger Bergmann 2015 - 2018
Kein Globalplan der Achsenmächte - oder wie einer hätte
aussehen können
Wir haben im fünften Teil gesehen, dass es sich bei der deutschen Aufrüstung keineswegs nur um einen Gunsterweis der Siegermächte des Ersten Weltkriegs handelte, sondern dass dahinter eine ausgeklügelte Strategie steckte, um ein wei- teres Mal einen deutsch-russischen Krieg zu ermöglichen. Wie beim Ersten Welt- krieg sollte Deutschland nicht in der Lage sein, die feindliche Vorgehensweise zu durchschauen oder gar zu durchkreuzen, sondern es würde auch dieses Mal, nun unter seinem "Führer" Adolf Hitler, sich mit großer Bereitwilligkeit daran beteiligen.
Genaugenommen wurde Hitler zu jedem der vier Kriege, die er führte, gezwun- gen. Auf den gegen Polen hätte er verzichtet, wäre Polen zu einseitigen territoria- len Konzessionen bereit gewesen. Stattdessen ließ man ihn zwischen Prestige- verlust und Krieg wählen, wobei er sich das zweite meinte eher leisten zu können als das erste, und das war dem gegnerischen Lager bekannt. Der Krieg gegen die europäischen Westmächte wurde ihm erklärt (die Nebenkriegsschauplätze in Skandinavien und Nordafrika sind nicht eigenständig zu sehen, sondern hier ein- zugliedern). Die Sowjetunion griff er an, weil er aufgrund der Friedensunwilligkeit der angelsächsischen Mächte keinen anderen Ausweg wusste (obwohl auch das kein Ausweg war, wie sich herausstellen sollte). Und die Vereinigten Staaten führ- ten bereits lange einen unerklärten Krieg gegen die europäischen Achsenmächte, den Roosevelt schon zwei Tage vor Hitlers und Mussolinis Kriegserklärungen an die USA verklausuliert als im Gang befindlich festgestellt hatte.
So sah also die Realität dessen aus, was Walther Hofer, der maßgebliche Inter- pret der Vorkriegsereignisse, als "nackte Eroberungspolitik" bezeichnet. In Wirk- lichkeit hatte Hitler nie eine Strategie, auch wenn Andreas Hillgrubers Werk im Ti- tel für die Periode 1940/41 das Gegenteil suggeriert (der Angriff gegen die Sow- jetunion resultiert ja gerade aus dieser Konzeptlosigkeit). Bei den anderen Ach- senmächten sah es nicht anders aus. Vom japanischen Flottenoberkommandie- renden Yamamoto ist der Ausspruch überliefert: "In den ersten sechs oder zwölf Monaten in einem Krieg gegen die Vereinigten Staaten und Großbritannien werde ich freie Bahn haben und Sieg auf Sieg häufen. Sollte der Krieg dann aber weitergehen, habe ich keine Aussicht auf Erfolg." Italien konnte aufgrund seiner sehr eingeschränkten Möglichkeiten von vornherein nur auf begrenzte Erfolge im Zuge eines schnellen Friedensschlusses hoffen.
Stellt man das gewaltige Kriegspotenzial der USA und der Sowjetunion in Rech- nung, sah die Lage der Achsenmächte wirklich nicht anders als trostlos aus. Das war in Deutschland auch den Anführern der Teilstreitkräfte bekannt. Im Jahre 1938 hatte der damalige Heeresgeneralstabchef Beck keinerlei Siegchancen er- rechnen können, auch nicht mit Hilfe der Verbündeten (Beck hatte allerdings noch nicht einmal einen begrenzten Krieg gegen die Tschechoslowakei für erfolgver- sprechend gehalten und war nach Differenzen mit Hitler gegangen). Göring wurde von einem Offizier, den er zu seinem Generalstabschef machen wollte, erklärt, hinter Großbritannien stünden die USA, was jeden Krieg gegen diese Konstel- lation sinnlos machen würde. Marinechef Raeder äußerte: "Die Überwasser- streitkräfte aber sind noch so gering an Zahl und Stärke gegenüber der engli- schen Flotte, daß sie - vollen Einsatz vorausgesetzt - nur zeigen können, daß sie mit Anstand zu sterben verstehen und damit die Grundlage für einen späteren Wiederaufbau zu schaffen gewillt sind." Mit Vorstellungen dieser Art ging die deutsche Militärführung in den Krieg.
Auch Hitler selbst war von diesen miesen Aussichten betroffen. Dass einserseits "der Krieg sehr schwer, vielleicht aussichtslos" werden würde, hatte er schon vor Ausbruch erklärt. Andererseits verfasste er wenige Wochen später eine Denk- schrift, worin er klar erfasst hatte, dass Deutschland die Zeit davon lief. Von trium- phalen Eroberungszügen, die man ihm nach dem Krieg gern unterstellte und die sein Volk auch von ihm erwartete, war nichts zu spüren.
Es gab hier mehrere Widersprüche, über die die Kriegführung der Achsenmäch- te nie hinauskommen sollte. Erstens der Widerspruch zwischen Blitz- und Welt- krieg, der Führbarkeit zeitlich und örtlich eingeschränkter Feldzüge und der Notwendigkeit globalen und prinzipiell zeitlich unbegrenzten Kriegführens, limitiert nur durch die Kapazitäten des Gegners. Dann der innere rassistische Wider- spruch zwischen den Achsenpartnern, die sich gefunden, aber kaum wirklich gesucht hatten. Der germanische wie der römische Anspruch auf rassische Überlegenheit schlossen sich gegenseitig noch immer genauso aus wie die Zielsetzungen von Arminius und Varus fast 2000 Jahre zuvor. Nicht anders war es zwischen weißen Europäern und mongolischen Ostasiaten bzw. eingeborenen Japanern und langnasigen Fremden, bei denen es dem Inselvolk der auf- gehenden Sonne schwer zu erklären ist, warum die einen Feinde, die anderen Freunde sein sollen. Sodann der Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis, sich als im Aufstieg befindliche imperialistische und dynamische Nationen zu begreifen, denen die traditionellen, dekadenten Mächte angeblich wenig entge- genzusetzen haben, und der durchaus spürbaren Aggressivität und Konter-dynamik dieser Mächte, die sich nicht nur nicht ohne Widerstand verdrängen lassen würden, sondern die ihrerseits drohten, den revisionistischen Mächten gefährlich zu werden. Und schließlich der Widerspruch zwischen Ressentiment und Geist, wobei ersteres für den Antrieb des Revisionismus genauso uner- lässlich ist wie es den letzteren als Grundlage des Erfolgs unterminiert.
Für die Militärführungen der Achsenmächte erwies es sich also als unmöglich, Blitzkriege und Weltkrieg gleichzeitig zu planen, wobei dafür, wie oben aufge- zählt, die Voraussetzungen fehlten und das auch noch im Falle Deutschlands so gut wie aus dem Stand zu erfolgen hatte, nachdem Deutschland noch gar nicht richtig aufgerüstet hatte. Gedanklich ist aus dem o.a. Multilemma niemand he- rausgekommen, und wir können es auch nur im Nachhinein und unter dem Ein- druck der kaum absehbaren Anfangserfolge der Achsenmächte meinen besser zu wissen.
Wie absehbar diese Anfangserfolge waren, Yamamoto deutet ja etwas in dieser Richtung an, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Es erscheint aber nicht völlig unmöglich, dass ein passender "Globalplan" (mit Betonung auf "glo- bal", "Kriegsplan" bzw. "Gesamtstrategie" würden zu eingeschränkt wirken) er- dacht worden wäre. Denn erstens wurden, das besagen die obigen Statements, ja überhaupt geostrategische Überlegungen angestellt, wenn auch mit negativem Ergebnis. Zweitens war der Antikominternpakt geschlossen worden und hätte als gedankliche Ausgangsbasis einer Absprache zwischen Deutschland, Japan und Italien dienen können. Das Motiv der sukzessiven Ausschaltung der Gegner existierte auch bereits, so lautete ja die Grundlage des Schlieffen-Plans vor dem Ersten Weltkrieg ("Schlieffen rückwärts" in kartographischer Darstellung bei Groß, S. 207). Und schließlich ergaben sich mit dem leistungsfähigen Kampf- und Transportflugzeug, dem Panzer und überhaupt der motorisierten Armee völlig neue Möglichkeiten des Bewegungskriegs, im Fall des Flugzeugs sogar die in der Geschichte der Kriegführung bisher völlig ausgeschlossenen strategischen Fern- wirkung. Auch wenn sie niemand zusammenmischte, die passenden Komponen- ten waren vorhanden.
Sicher musste so ein Plan, wie jeder andere auch, zunächst illusionär sein. Eine andere, ihm im Weg stehende Illusion hätte aber rechtzeitig zerplatzen müssen: die der "imperialistischen Gemeinschaft", der Deutschland schon vor der Ersten Weltkrieg aufgesessen war und die schon damals keine reale Grundlage hatte. Was, wenn Hitler vorausgesehen hätte, dass es ihm nichts nützt, gegenüber Frankreich auf Elsaß-Lothringen bzw. gegenüber Großbritannien auf den Bau einer umfangreichen Flotte zu verzichten und den USA die Logik der gegen- seitigen Nichteinmischung in der jeweils anderen Hemisphäre der Welt anzura- ten? Wenn er den Widerstand und die Friedensunwilligkeit der angelsächsischen Mächte vorhergesenen und nicht immer wieder versucht hätte, die Sache diplo- matisch zu lösen? Wenn die Achsenmächte ihre angestrebten Weltmachtstellung- en nicht nur als Ziele, sondern auch als Mittel begriffen hätten, um als Imperien zu überleben, aber ohne solche Überlegungen auch gleich hätten kapitulieren kön- nen?
Sicher ist auch dieses ein va banque-Spiel, und in noch weit erheblicherem Maße, als es nur der Krieg gegen Polen war. Aber was, wenn eigentlich sowieso nichts anderes übrig bleibt, der Gegner jedoch zunächst nicht angemessen reagiert, va banque vorerst aufgeht und sich dadurch völlig neue Perspektiven ergeben? Von den sich nach dem Fall Frankreichs überraschend auftuenden Möglichkeiten war Hitler jedenfalls völlig überfordert.
Wenn aber Ideen wie o.a. ausgearbeitet rechtzeitig Raum gegriffen hätten und in gemeinsame Stabsbesprechungen der Achsenmächte eingeflossen wären, mit dem spannenden Detail, dass es darauf ankommt, genau im rechtzeitigen Mo- ment zuzuschlagen, die Chance, erst einmal verstrichen, würde sich sonst kein zweites Mal ergeben? Die schon angesprochene materielle Erpressbarkeit der Achsenmächte durch den Gegner erzeugte eigentlich bereits genügend Druck, dieser Situation zu entkommen.
Unabdingbare Voraussetzung für das initiale Gelingen eines derartigen Plans war jedenfalls, dass Deutschland sich gegen Polen und Frankreich durchsetzt und die Sowjetunion ruhig hält. Dabei war ein Erfolg gegen Polen noch kalkulierbar, der gegen Frankreich war es schon nicht mehr, und was die Sowjetunion anging, musste man ganz auf Stalins Vorsicht und gute Laune vertrauen. Wie gesagt würde das Italien und Japan nicht von intensiver Aufmerksamkeit freistellen, denn sobald ein deutscher Erfolg auch gegen Frankreich eintrat, waren grundsätzlich deutsche Truppen mit Hilfe der maritimen Fähigkeiten Italiens und Japans auch an entfernten Stellen der Welt einsetzbar. Bei den USA konnte man darauf ver- trauen, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis sie ihr militärisches Potenzial würden zur Wirkung bringen können.
Bekanntlich saß Deutschland aber zunächst in einer polnisch-französischen Zwickmühle fest, und es war keineswegs sicher, dass es da, bei kontinuierlichem Stillstehen der Sowjetunion, aus eigener Kraft herauskommen würde. Aber diesen einen, günstigen Fall, der dann auch eintrat, hätten sich die Militärführungen der Achsenmächte als ebensolchen suggerieren müssen (und vielleicht können). Wa- ren Frankreich und Polen erst einmal aus dem Feld geschlagen, wäre der Zeit- punkt zum gemeinschaftlichen Vorgehen der Achsenmächte gekommen. Niemand anderes als das überstreckte britische Empire hätte dann in ihr Visier geraten müssen.
Dabei hätten sich folgende Aufgabenfelder ergeben: Deutschland hält per fern- wirksamem See- und Luftkrieg die britische Insel, so gut es geht, nieder. Deutsch- land und Italien nehmen die britischen und französischen Mittelmeerpositionen ein, wobei die geschlagenen Franzosen Hilfsdienste leisten müssen. Mit seiner Abessinienaktion hatte sich Italien eine veritable strategische Position am Horn von Afrika gesichert. Dorthin ist vom Mittelmeer aus Verbindung aufzunehmen. Vom Suezkanal aus ist in die arabischen Gebiete Richtung Persischer Golf vor- zustoßen. Japan nimmt sich unter Umgehung der Philippinen, deren besonderen amerikanischen Schutz man unterstellen muss, die niederländischen, britischen und französischen Kolonien in Südostasien und stellt eine Verbindung über den Indischen Ozean zu den westlichen Achsenmächten her. Am westlichen Ufer des Indischen Ozeans führen alle drei Achsenmächte Koalitionskrieg gegen die ver- bliebenen britischen Positionen in Arabien. Gemeinsamer Fluchtpunkt ist die süd- iranische Stadt Abadan mit ihren reichen Ölvorkommen.
Man darf jetzt nicht der irrigen Meinung verfallen und annehmen, ein derartiger Plan, erfolgreich umgesetzt, hätte den Krieg bereits entschieden. Schließlich sind beispielsweise die USA als Kriegsteilnehmer noch gar nicht aufgetreten (über die Zwangsläufigkeit ihres Kriegseintritts könnte man spekulieren, was Japan, s.u., auch mit eindeutigem Ergebnis tat). Aber er hätte eine ganze Reihe von Proble- men gleichzeitig lösen können:
Die Achsenmächte hätten eine Verbindung untereinander hergestellt und hätten darüber hinaus gemeinsam Krieg führen können. Über den Indischen Ozean wäre auch eine logistische Verbindung möglich geworden, beispielsweise hätte Natur- kautschuk aus Niederländisch-Indien nach dem Westen, hochwertige Rüstungs- güter nach dem Osten transportiert werden können. Das Mittelmeer wäre gesäu- bert worden, Italien hätte Ruhe gehabt, das Sandmeer der Sahara, die Nilsümpfe im Südsudan sowie das Rift Valley mit seinen Seen, Bergen und tropischen Re- genwäldern, außerdem am Südostende die Grenze der portugiesischen Kolonie Mosambik hätten die Afrikaposition der Achsenmächte geographisch abgesichert. Die arabischen Gegner der britischen Kolonialmacht hätten eingebunden werden können. Die Sowjetunion und die Türkei wären eingeschlossen worden. Kommt es zum Krieg mit der Sowjetunion, hätte das Land nicht über den "Persischen Korridor" mit westlichen Rüstungsgütern versorgt werden können. Das inzwi- schen in Iran umbenannte Persien wäre dem alliierten Zugriff entzogen geblieben, sein Monarch Schah Reza Pahlevi war ein Freund der Achsenmächte (die Alli- ierten hatten im Bedarfsfall keine Probleme damit, die Neutralität von Ländern, die in ihren Focus gerieten, zu verletzen, und besetzten 1941 den Iran kurzerhand). Die reichen Ölvorkommen von Abadan und Bahrein, Hauptversorgungsquellen für die Briten, wären den Achsenmächten zugefallen (mehrere Pipelines ans Mittel- meer existierten längst). Selbst ein Konglomerat aus japanischen, italienischen und (ex-)französischen Flotteneinheiten hätte grundsätzlich gebildet werden kön- nen, um im Atlantik die britische Insel abzuschneiden, bis hin zu einer Invasion Großbritanniens. Die marokkanische Küste hätte einen hervorragenden U-Boot-Stützpunkt abgegeben, auch eigene Konvois der Achsenmächte hätten vielleicht nach Südamerika und zurück verkehren können. Die britische Indienposition wäre prekär geworden, soweit überhaupt noch zu halten.
(Nachtrag: Ähnliche Überlegungen, mit geringerem Detaillierungsgrad, gibt es bei
Martin, Literaturangabe u. im Anmerkungsteil, S. 24).
Gegen einen derartigen Plan kann man nun einige Vorbehalte einwenden. Bei- spielsweise könnte man behaupten, Frankreich hätte derartiges nie mitgemacht. Über die fortgesetzte Intransigenz eines geschlagenen Frankreichs könnte man nun munter spekulieren, vor allem unter der Voraussetzung, dass es nie versucht wurde, Frankreich zum Mitmachen im vorgestellten Rahmen zu bewegen, weil es einen derartigen Plan eben nicht gab, Hitler das Mittelmeer eigentlich den Italie- nern zu deren unabhängiger Kriegführung überlassen wollte, bis die sich ganz schnell verhoben. Richtig ist, dass die deutschen Waffenstillstandsbedingungen, wie die Friedensbedingungen von 1871, wieder vergleichsweise sehr milde aus- fielen (hierzu 5. Kapitel im 5. Teil). Unter der expressis verbis geäußerten Vor- aussetzung der tödlichen Gefahr, in der sich die Achsenmächte befanden, hätte man vielleicht den Franzosen den Ernst der eigenen Lage schildern können. Ins- besondere hätte man den Nachkriegsstatus Frankreichs, gesetzt den Fall, die Achsenmächte gewinnen den Krieg, von der französischen Kooperativität abhäng- ig machen können. Dass diese nicht komplett ausgeschlossen war, zeigen Beispiele von Zugänglichkeit seitens Vichy-Militärführern, was im Einzelfall so weit ging, dass sie gemeinsame Trans-Sahara-Aktionen anregten!
Ein weiterer Vorbehalt könnte in den angeblichen mangelnden logistischen Fähig- keiten der Achsenmächte zu einer derartigen Aktion liegen. Seltsamerweise hat- ten die alliierten Gegner nie derartige Probleme. Hier hätte die Lösung in einer ausgeklügelten Vorbereitung liegen können. Dass hohe Marschleistungen durch die wüstenhaften Gebiete auch von Truppen der Achsenmächte hätten gezeigt werden können, zeigt Rommels Rückzug von El Alamein über mehrere Tausend Kilometer und einige Monate, wobei er mit seinen Sodaten dann noch erfolgreich am Kasserine-Pass kämpft. In dieselbe Rubrik gehört der Vorbehalt, Gibraltar einzunehmen wäre ohne spanische Hilfe nicht möglich gewesen (Hitler versuchte vergeblich, Spanien zum Kriegseintritt zu bewegen). Ist erst einmal Französisch- Marokko besetzt, kann Gibraltar mit Unterstützung deutscher und italienischer Flugzeuge von der italienischen Flotte angegeriffen werden. Der isolierte kleine Stützpunkt wäre wohl auf Dauer für die Briten nicht zu halten gewesen. Einen spanischen Kriegseintritt hätte es in diesem Fall nicht gebraucht, es genügte voll- auf, dass die spanische Armee die Iberische Halbinsel gegen angelsächsische Angriffe deckte. Ebenso hätte sich ein Kriegseintritt der Türkei auf Seiten der Ach- senmächte für diese kontraproduktiv ausgewirkt. In diesem Fall hätte man sich nur mit türkischen Gebietsansprüchen in Arabien und im Kaukasus (falls es zum Krieg gegen die Sowjetunion kommt) herumschlagen müssen.
Weiter kann man, und das mit einiger Berechtigung, vorbringen, Japan hätte sich zu einem derart weit ausgreifenden Vorgehen nie bereit erklärt. Zunächst kann man da wie oben im Falle Frankreichs, oder in Bezug auf den Plan überhaupt, entgegnen, wenn man es nicht versucht, wird man nie herausfinden, ob es funk- tioniert. Tatsächlich war man in Japan der Ansicht, die USA und Großbritannien wären nicht zu trennen, ein japanischer Angriff auf britische Positionen hätte zwangsläufig den Kriegseintritt der USA gegen Japan zur Folge gehabt. Außer- dem befürchtete man einen Vorstoß der amerikanischen Schlachtflotte von den Philippinen aus in das Südchinesische Meer und meinte, dem nichts entgegen- setzen zu können außer der eben rechtzeitigen Besetzung der Philippinen, was aber ohne Krieg gegen die USA und die Ausschaltung von deren Schlachtflotte, wie dann in Pearl Harbor geschehen, auch keinen Sinn machen wollte. Letztere Überlegung führte man aber gerade mit dem Angriff auf Pearl Harbor wie der Versenkung der britischen Schlachtschiffe "Repulse" und "Prince of Wales" ad ab- surdum. Sicher, eine japanische Atlantikkriegführung hätte ein außerordentlich kühnes Unternehmen dargestellt. Aber nur zur Defensive waren die japanischen Großkampfschiffe verschwendet, und besondere Situationen erfordern nun ein- mal besondere Maßnahmen. Insgesamt setzt ein derartiger Plan von vornherein eine außergewöhnliche Einsichtsfähigkeit bei allen Beteiligten voraus.
Formal kann man jetzt noch einwenden, dass so ein Plan gar nicht "global" ist, sondern hauptsächlich den Mittelmeerraum, Arabien, Ostafrika und Südostasien trifft. Das ist sicher richtig, aber wie bereits gesagt handelt es sich dabei um eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche weitere gemeinsame Kriegführung der Achsenmächte, wo auch immer auf dem Planeten diese sich abspielen würde.
Der Grundgedanke ist jedenfalls der: zunächst, wie tatsächlich auch erfolgt, mit Hilfe von "Blitzfeldzügen" relativ schlecht vorbereitete Gegner niederzuwerfen, dadurch auch geostrategisch wichtige Positionen einzunehmen (Deutschland hat letzteres nur einmal, mit dem Norwegenfeldzug, unternommen) und so eine Grundlage für den rüstungsmäßigen Ausbau sichern (die Weite des Raums trifft den Gegner genauso, er kann nur an Schwerpunkten angreifen, die sich dann ebenso im schwerpunktmäßigen Bewegungskrieg verteidigen lassen). Dann sind alle weiteren Optionen offen.
Mit diesem Kapitel meiner Arbeit hoffe ich, zum einen haltlosen Spekulationen über einen alternativen Kriegsausgang weitgehend den Boden entzogen, fundier- teren aber vielleicht die Basis erweitert zu haben. Der konsistenten Planung eines Weltkriegs war auf Seiten der Achsenmächte niemand gewachsen, und das wird häufig bei Betrachtungen zum Zweiten Weltkrieg nicht in Rechnung gestellt. Ein erfolgreicher Koalitionskrieg gegen die Sowjetunion, den die Außenminister Ribb- entrop und Matsuoka am liebsten im Alleingang auf die Beine gestellt hätten ([H], S. 485) erscheint nach den hier angestellten Überlegungen als die schwierigere und weniger erfolgversprechde Lösung als die hier vorgestellte Möglichkeit des gemeinsamen Vorgehens zur Kontaktaufnahme am Indischen Ozean, bzw. wäre diese eher noch Voraussetzung auch für eine erfolgreiche Kriegführung gegen die Sowjetunion gewesen.
P. S.:
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass ich mich zu diesem Kapitel noch von zwei weiteren Schriften habe beeinflussen lassen. Auf Zitate daraus wurde verzichtet, da beide keine über die o.a. Argumentation hinaus liefernden Informa- tionen zur Verfügung stellen.
Zum einen handelt es sich um "Gedanken zum Zweiten Weltkrieg" von Albert Kes- selring. Kesselring war zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits 70 Jahre alt und verfügte über keinen ausreichenden Quellenzugang, ein studierter Historiker wür- de sein Werk sicher als praktisch wertlos einschätzen. Der als Militärführer in der zu betrachtenden Umgebung eingesetzte Generalfeldmarschall a.D. entwickelt auf S. 79ff eigene Gedanken zu einer "Mittelmeer-Strategie", die mit den hier ge- äußerten weitgehend konform gehen (Karte S. 80).
Zum anderen handelt es sich um den 20-Seiten-Aufsatz von Lothar Gruchmann, "Die "verpaßten strategische Chancen" der Achsenmächte im Mittelmeerraum". Aufgrund der Knappheit der Schrift kann eine erschöpfende Betrachtung der Pro- blematik nicht erwartet werden, im Gegensatz zu zahlreichen sonstigen Betrach- tungsweisen spielt immerhin Italienisch-Ostafrika als strategisch wichtiges Gebiet eine Rolle.
Beiden Schriften ist eigen, dass sie Japan in ihre Betrachtung nicht mit einbezie- hen, Gruchmann deutet sie lediglich auf der letzten Seite an. Insofern kommt die Rolle der "Mittelmeer-Strategie" im Rahmen einer Gesamtstrategie der Achsen- mächte nicht an die richtige Stelle. Gruchmann schließt auch bei einem Erfolg der "Mittelmeer-Strategie" auf einen grundsätzlich negativen Kriegsausgang für die Achsenmächte. Dem Argument der "technisch-industriellen Überlegenheit" der angelsächsischen Staaten kann dabei nicht in jedem Fall gefolgt werden, ein Auf- holen der Achsenmächte auf diesem Gebiet erscheint denkbar. Ebenso würde ein Einsatz von Atomwaffen schon aufgrund der geringen produzierbaren Anzahl gegen ungeschlagene Achsenmächte keinen kriegsentscheidenden Erfolg gezeigt haben, ihre verheerende Wirkung hätte eher ein unfreiwilliges negatives Propa- gandamittel ergeben. Am ehesten ist Gruchmanns Argument der Instabilität, da- mit Unproduktivität einer ausschließlich auf Gewaltanwendung gegründeten Herr- schaft der Achsenmächte über besetzte Gebiete zu folgen.
Im Gegensatz zu den sonstigen, historisch-in- terpretierenden Kapiteln ist dieses kontrafak-tisch-hypothetisch gehalten. Wodurch die hier verwendeten Zitate zu der Materie eher kritisch als stützend stehen. Der Großteil der Zitate stammt aus Andreas Hillgrubers Werk zu Hitlers
Strategie 1940/41, Literaturangabe 5. Kapitel im 5. Teil, hier abgekürzt mit [H], weggelassen für unmittelbar folgende Zitate aus derselben Quel- le. Hillgruber wendet insgesamt 715 Seiten auf, nur um im Grunde nachzuweisen, dass Hitler im
Grunde keine Strategie hatte.
Zusammenfassende Wiederholung der Argu- mentation aus dem 4. und 6. Kapitel des 5. Teils und insbesondere der Buchbesprechung "Hofer"
dort.
Auch Hillgruber ist der Ansicht, Hitlers Intuitionen
waren für seine Entscheidungen zu Kriegen nur zum Teil wesentlich, sie resultierten häufig aus Sachzwängen ([H], S. 20). Das Agieren der Ge- genmächte ist in die Betrachtung mit einzube- ziehen (S. 21). Zwischen Kriegsbeginn und März
1941 gibt es keine Aufzeichnungen von Unterre- dungen zu Hitlers Kriegszielen! (S. 601f, ver- mutlich, weil es in dem betrachteten Zeitraum Kriegsziele Hitlers, die die Bezeichnung verdie- nen, gar nicht gab! (persönliche Überlegung)).
Hofer S. 48, bereits zitiert in der Besprechung seines Werkes im 5. Teil, dort auch die Litera-
turangabe. Hillgruber widerspricht sich selbst, wenn er das "Lebensraum-Konzept" Hitlers als gleichwertige Ursache für den Krieg gegen die UdSSR betrachtet ([H], S. 207) wie das strate- gische Multilemma, in dem Hitler sich seit Som- mer 1940 befand (S. 352ff), was Hillgruber deut-
lich herausarbeitet und auch zeitlich deutlich voneinander abhebt (S. 362, Wiederholung der Argumentation aus dem 5. Kapitel des 5. Teils und der Buchbesprechung "Hofer").
Yamamoto-Zitat aus https://en.wikiquote.org/wiki/Isoroku_Yamamoto, eigene Übersetzung des englischen Originals.
Beck zu Japan bei Müller, Literaturhinweis 3. Ka-
pitel im 5. Teil, S. 572, zu Italien ds., S. 573f. Becks fachlicher Irrtum in Bezug auf die Tsche- choslowakei ds., S. 298ff, von dem er dann aus politischen Gründen nicht abließ und entspre- chend in eine unhaltbare Position geriet, ds. S. 304ff. Göring im Gespräch mit Oberst Keßler, dieser wurde später "Fliegerführer Atlantik", bei Sönke Neitzel (von ihm wurde hier im 1. und 2. Teil bereits Literatur verwendet), Der Einsatz der deutschen Luftwaffe über dem Atlantik und der Nordsee 1939 - 1945, Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1995, S. 13f. Raeder bei Michael Salewski, Die Deutschen und die See, Literaturangabe 1. Kapitel 1. Teil, Band 2 S. 97f, und [H], S. 37: "In diesem Krieg ... kann das Wenige, was fertig ist oder noch kriegsbereit wird, nur anständig kämpfend untergehen." Weniger bekannt ist, dass Raeder, der ansonsten durchaus konstruk- tive Ideen beisteuerte (s.u.), diese "Untergangs- strategie" tatsächlich umsetzte (bis über den Verlust des Schlachtschiffs "Bismarck" hinaus), obwohl selbst die kleine deutsche Flotte, im Zu- sammenwirken mit denen der Verbündeten (plus der "gekaperten" Frankreichs) nach "Erfolg" des hier vorgestellten "Plans" durchaus aussichts- reich gegen Großbritannien hätte vorgehen kön- nen.
Wörtliches Zitat in diversen Hitler-Biographien, im Internet auffindbar. Denkschrift bei Rauh, Literaturangabe s. Einleitung, Bd. II, S. 6 , und [H], S. 45f (09.10. 1939). Dennoch hatte Hitler aufgrund seiner Vorstellung eines kurzen Krie- ges auf die Totalmobilisierung der Wirtschaft verzichtet (S. 44f), ab Mitte Juni 1940 wollte er schon wieder zu einer "Friedensgliederung" des Heeres übergehen (S. 59, 258), und die Situati- zur Eröffnung des Krieges beurteilte er im Nach-
hinein als günstig (S. 46f, Anm. 86).
Das oben vorangehende Statement änderte nichts an der insgesamt schwierigen Lage
Deutschlands, und von der Existenz eines stra- tegischen Gesamtplans konnte überhaupt keine Rede sein, so [H], S. 28, auch nicht in Form ei- ner so genannten "Blitzkriegsstrategie" (so Rauh, Bd. II, S. 211, Groß, Literaturangabe s. 2. Kapitel im 1. Teil, S. 202). Wie bereits in der Buchbesprechung "Hofer" erklärt, folgte auch aus dem als "Schmundt-Protokoll" bekannten, als strategische antibritische Überlegung ein- sortierbaren Papier ([H], S. 40 Anm. 57) nichts. Wirtschaftlich war Deutschland 1939 allerdings tatsächlich nur zu kleinen "Blitzkriegen" in der Lage (S. 33), Blitzkriegs-Vorstellungen Hitlers gab es dabei bereits 1934 (S. 570)! Natürlich besaß auch Italien keinen Kriegsplan (S. 129).
Die rassistischen Vorbehalte zwischen den Ach-
senmächten sind bekannt bzw. wurde bereits darauf hingewiesen (Hofer, S. 281, 283), sehr heftig hat sich Mussolini über Deutschland ge- äußert (Krämer, zweite Buchbesprechung im 5. Teil, S. 115). Zum japanischen Rassismus ge- genüber Weißen Bernd Martin, Deutschland und
Japan im Zweiten Weltkrieg 1940 - 1945, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg 2001, S. 47, er lässt einen Professor Tsunoda allerdings für den Fall Deutschlands widerspre- chen (ds., S. 317). Zum generellen Gegensatz zwischen Geist und Ressentiment siehe 4. Teil dieser Arbeit.
Das Gedankengut des deutschen Generalstabs hatte sich seit dem Ende des Ersten Weltkriegs nur mit dem Dreieck Frankreich-Polen-Tsche- choslowakei befasst ([H], S. 213). Da deshalb kein weitergehender Plan vorliegen konnte, be- fand sich Hitlerdeutschland im Sommer 1940 nur äußerlich in einer glänzenden Lage (S. 389),
in Wirklichkeit hatte sich das o.a. Zeitdruck-Mo- tiv dahingehend verändert, dass die Zeit bereits davongelaufen war (S. 225, die kräftemäßige Situation veränderte sich rapide zu Deutsch- lands Ungunsten, umso mehr, als dass weiter- hin kein konsistenter Kriegsplan vorlag). Die im Nachhinein aus einer rationalen Kriegssicht zu stellende Forderung nach rechtzeitiger "Totali- sierung" des Krieges (S. 273) kam daher bereits
für Sommer 1940 zu spät! (Persönliche Beurtei-
lung).
Der pessimistische Generaloberst Beck war, wie in seinem Fall nicht anders zu erwarten, aufgrund der raschen französischen Niederlage von den Socken (in einem Brief an Generalfeld- marschall Mackensen vom 23.06.1940, Müller, S. 591f).
Von einer dauerhaften Komplettborniertheit der Militärführungen der Achsenmächte muss man m.e. nur dann ausgehen, wenn man selbst im Kopf genau so starr ist, wie man es seinen Be- trachtungsobjekten unterstellt. Dass die Unko- operativität der ebenso ineffizienten wie anfangs ehrpusseligen Italiener keine gottgegebene Kon- stante war, bewies ausgerechnet der am Sturz Mussolinis beteiligte General Ambrosio, der die Unterlassung der Komplettbesetzung Frank- reichs plus Gewinnung eines Brückenkopfs in Nordafrika kritisierte (19.07.1943, [H], S. 63, Anm. 141, die Inbesitznahme der Küsten Frank- reichs inklusive Nordafrikas hatte Hitler schon in "Mein Kampf" gefordert, dort S. 416/696, siehe 3. Kapitel 3. Teil). Spätere, dem italienischen Prestigedenken geschuldete Abspracheschwie- rigkeiten (S. 180ff) hätten vielleicht vermieden werden können, wäre beiden Seiten die Notwen-
digkeit eines gemeinsamen Vorgehens von vorn-
herein klar gewesen. Als dann schließlich doch deutsche Truppen nach Nordafrika verlegt wur- den, geschah dies nicht aus strategischen Gründen, sondern damit die italienische Kampf- moral nicht völlig zusammenbrach (S. 346).
Beim Dreimächtepakt vom 27.09.1940 handelte es sich um eine reine Propagandaaktion zur Ab-
schreckung der USA (S. 204), inhaltlich um ein strategisch völlig untaugliches Defensivbündnis (S. 205f Anm. 68), das durch eine "Russland- Klausel" zusätzlich entwertet wurde (S. 294f).
Innerhalb der deutschen Militärführung wurde eine "Mittelmeer-Strategie" immer wieder mal gefordert, beispielsweise von der Marine (Sa- lewski, Bd. 1, S. 185), Generaloberst Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes (Hitlers ober- stem militärischen Beratergremiums), wandelte sich insofern vom Saulus zum Paulus, als dass er zunächst [zutreffend, aber unvermeidbar] die Zersplitterung der deutschen Kräfte in einem derartigen Unternehmen befürchtete ([H], S. 43),
später aber auf die "Mittelmeer-Strategie" ein- schwenkte (S. 178f) und Großbritannien als Hauptgegner ansah (S. 157, 264), wobei er mit Reichsaußenminister Ribbentrop konform ging (S. 238), welcher außerdem Italien gern an die Kandarre genommen hätte (S. 347) [Ribbentrop sah die Lage öfter ansatzweise richtig].
Keine Gegenliebe fanden die weit ausgreifenden
Vorstellungen ("uferlos", S. 240 Anm. 150) bei General Halder: "Die Leute [die Marine] träumen in Kontinenten" (Dietrich Eichholtz, Krieg um Öl, Leipziger Universitätsverlag GmbH, 2006, S. 104). Dass Deutschland einen Weltkrieg führen musste, zu dessen Natur "Uferlosigkeit" gehört und der deshalb Kontinente in Mitleidenschaft zieht, wollte Halder nicht wahrhaben (persönli- che Beurteilung).
Hitlers Irrtümer zu Frankreich Hofer, S. 303 (s. dessen Buchbesprechung im 5. Teil), zu Groß- britannien in "Mein Kampf" (S. 109/157, 3. Kapi- tel im 3. Teil, Begriffe "Seemacht", wobei er dem
weit verbreiteten Irrtum der wirtschaftlichen, ma-
ritimen und imperialen Konkurrenz als Motiv für Großbritanniens Kriegskurs zum Ersten Welt- krieg erliegt und dann dasselbe zum Zweiten Weltkrieg nicht versteht), zu den USA ("deut- sche Monroe-Doktrin" 5. Kapitel im 5. Teil). Hitler
und die meisten deutschen Generalstabsoffizie- re meinten jedenfalls zunächst, mit Frankreich wäre auch Großbritannien geschlagen (([H], S. 58f). Dieses zeigte sich aber weder von der französischen Niederlage noch vom italieni- schen Kriegseintritt im Mindesten beeindruckt (S. 79), Churchill hatte fast einen Monat vor der endgültigen Entscheidung im Westen seine Jagdflugzeuge auf der Insel behalten (22.05.
1940, S. 81 Anm. 10) und wollte im Fall einer erfolgreichen deutschen Invasion den Kampf auch von Nordamerika aus fortführen (S. 83).
Hitler aber hätte einem Ausgleich mit Großbri- tannien alles andere untergeordnet (S. 144), die [militärisch unabdingbare] Zerschlagung des britischen Empire würde Deutschland nichts, nur anderen nutzen (S. 155, ähnliche Argumen- tation z.B. 5. Kapitel 5. Teil), dass der Krieg "selbstmörderisch für die weiße Rasse sei", wussten die befreundeten Rudolf Heß und Al- brecht Haushofer (S. 156). Churchill war jeden- falls klar, dass er mit Deutschland Frieden ha- ben konnte, wann immer er wollte (S. 145, 148 Anm. 16). Erst ab Ende Juli 1940 sieht Hitler Großbritannien und die USA als unversöhnliche Feinde (S. 224 Punkt 2).
Italiens Unfähigkeit zur Parallelkriegführung war bekannt, ohne dass daraus Konsequenzen folg- ten (S. 126, es fehlten nicht nur die militärischen
Machtmittel, sondern auch bei Mussolini das notwendige Selbstvertrauen zu entweder rück- sichtslosem eigenem Einsatz oder Unterord- nung unter deutsche Vorstellungen, S. 275, 278). Zielsetzungsmäßig, was Territorien angeht, hatte Mussolini wenigstens z.T. die passende Blickrichtung (Arabien mit dortigen Ölgebieten, Verbindung zu seiner Ostafrika-Position, S. 130f, die Kontrolle wollte er aber eher (friedens-) vertragsmäßig als durch militärische Eroberung gewinnen). Für Hitler schienen die vorderasiatischen Ölvorkommen (Behandlung der Ölthematik S. 257) praktisch keine Rolle zu spielen.
"Undurchsichtige Haltung der Sowjetunion ge- genüber dem europäischen Krieg" (S. 389).
Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs war zwar Russland, kaum aber Frankreich ("al- len übrigen potentiellen Gegnern des Reiches weit überlegene Militärmacht") besiegbar (S. 60, von dort auch wörtliches Zitat).
Es gab eine ununterschriebene Weisung Hitlers zum Ausgreifen in den Vorderen Orient und nach Nordwestafrika - für die Zeit nach "Barba- rossa"! (S. 270, s.a. S. 377f). Die Bedeutung des italienisch-ostafrikanischen Kolonialgebie- tes für eine Gesamtstrategie erfasst Hillgruber jedenfalls nicht (S. 291f). Die maritime Siche- rung des Südendes des Roten Meeres hätte nicht nur italienischen Streitkräften, sondern auch der japanischen Flotte oblegen! Ein recht- zeitiger japanischer Kriegseintritt hätte zur Ver- legung der britischen Flotte aus dem Mittelmeer geführt (11.02.1941, S. 407 Anm. 45, und ver- mutlich zur (kampflosen) Aufgabe der gesamten
britischen Mittelmeerposition). Auch Hillgruber sieht die "- anscheinend oder scheinbar - [sic] im raschen Zugriff mit wenigen deutschen Kräf- ten" ... "verlockend erscheinenden Aussichten" von "Vorstößen gegen die britische Stellung in Vorderasien" (S. 458).
Die Briten bezogen die beträchtliche Menge von 14 Millionen Tonnen Öl aus der Raffinerie von Abadan, weitere 2 Millionen Tonnen aus Bahrein
[Jahresbeträge], Eichholtz, S. 72.
"Allein schon kriegsentscheidend", ist bei Hillgru-
ber ([H], S. 179) die Frage des Sinns der "Mittel- meer-Strategie", bzw., ob ihr Erfolg allein bereits
Großbritannien friedensbereit gemacht und die USA vom Kriegseintritt abgehalten hätten (S. 276). Die Oberkommandierenden der drei deut- schen Teilstreitkräfte sprachen sich jedenfalls 1940/41 gegenüber Hitler für die "Mittelmeer- Strategie" aus! (S. 211, Aussage i.F. Görings eingeschränkt <Zitat nachgeliefert 14.06.2018>)
Auf S. 105 spricht Hillgruber vom Transport "le- benswichtiger" Güter aus Ostasien über die Transsibirische Eisenbahn. Diese Verbindung war bekanntlich vom andauernden Friedenszu- stand zur Sowjetunion bzw. vom Wohlwollen Stalins abhängig und in der Kapazität Schiffs- transporten unterlegen. Die Unabdingbarkeit der Kontrolle über den Indischen Ozean als Voraus- setzung jeden endgültigen Erfolgs der Achsen- mächte konstatiert auch Manfred Rauh (Bd. III, S. 29). Anstatt Stillschweigen zu bewahren und rechtzeitig zuzugreifen, beschränkten sich die Japaner im Frühjahr 1940 auf diplomatische Demarchen zur Sicherung der Neutralität Nie- derländisch-Indiens und machten so nur die USA extra hellhörig ([H], S. 119).
Die rein zahlenmäßige Überlegenheit der italie- nischen Truppen in Nordafrika hätte einen An- griff gegen den Suezkanal (S. 132) und darüber
hinaus (S. 140) aussichtsreich gemacht. Der italienische Vormarsch in Ägypten kam immer- hin 90 km voran und scheiterte nicht am briti- schen Widerstand (S. 143). In einer späteren Kriegsphase hätte König Faruk womöglich in Ägypten einen antibritischen Aufstand ausgelöst (S. 472). Mit seiner Indifferenz zwischen Italie- nern und Arabern machte Deutschland sich nur unnötige Schwierigkeiten (S. 142).
Der antibritische Aufstand im Irak unter Minister- präsident Raschid Ali al-Gailani verlief mit den Achsenmächten völlig unkoordiniert, basierte auf
einer unrealistischen Hilfszusage Weizsäckers und Rommels schnellem, aber kurzem Vor- marsch (S. 475). Außerdem kam er Monate zu spät... (der geringe Kampfwert der irakischen Truppen hätte ihren Einsatz nur für Hilfsdienste erlaubt, persönliche Überlegungen).
Bei der Aussage, Hitler hätte durch seinen Waf- fenstillstand mit Frankreich "das gerade noch Durchsetzbare" erfasst und erreicht, ein "letzter Triumph" von Hitlers Instinkt ([H], S. 63) handelt es sich vermutlich um den größten Blödsinn, den Hillgruber in seinem ganzen gewaltigen Werk je geschrieben hat. Frankreich war 1940 hilflos, auf "latente Resistenzkräfte" (S. 135) hät-
te man seitens Deutschlands und Italiens keine Rücksicht nehmen müssen. Nach den Ausfüh- rungen Hillgrubers erscheint der angebliche Kol-
laborateur-Präsident Petain in einem ganz ande-
ren, deutschfeindlichen Licht. Das Auslaufen der
französischen Flotte von west- und südfranzö- sischen Häfen (16./17.06.1940), um sie deut- schem Zugriff zu entziehen (S. 134f Anm. 31, ein deutscher Täuschungsbefehl auf französi- schen Funkfrequenzen blieb wirkungslos, Sa- lewski, Bd. 2, S. 187), aber britischem Zugriff auszusetzen (Anfang Juli erfolgte "Operation Catapult"), hatte Petain politisch zu verantwor- ten. Die geforderte Einrichtung deutscher Stütz- punkte in Nordafrika bügelte Petain u.a. mit dem unverschämten Verweis auf die "leicht erregbare
[ansässige arabische] Bevölkerung" ab (17.07. 1940, S. 183). Petain untergrub die Position sei- nes deutschfreundlichen Ministerpräsidenten Laval durch ein Geheimabkommen mit Großbri- tannien (S. 321) und konnte ihn nach einem wei-
teren solchen [zeitweise] von seinem Posten entfernen (S. 333).
Auf der anderen Seite bot Admiral Darlan unter bestimmten Voraussetzungen Frankreichs Zu- sammenarbeit an (S. 251). Entsprechende An- deutungen machte auch General Huntziger, während Laval offen den Kriegseintritt Vichys auf der Seite der Achsenmächte anstrebte (S. 317f, Juli/September 1940). Im Frühjahr 1941 schlichen sich Darlan und Huntziger erneut an. Petain torpedierte diese Versuche, nicht zuletzt aufgrund amerikanischer diplomatischer Inter- ventionen (S. 451ff). "Trans-Sahara-Operatio- nen" S. 332.
<Einfügung 14.03.2023>
Die Klärung der politisch-militärisch äußerst un- übersichtlichen Situation im Mittelmeerraum in den Jahren 1940/41 machte die Erstellung eines eigenen, weiterführenden Kapitels notwendig, insbesondere auch im Hinblick auf die französi- sche Politik. Petain erscheint dabei nun wieder deutschfreundlicher, Göring weniger zögerlich, und es wird dargelegt, warum die geplante Be- setzung Marokkos durch die westlichen Achs- enmächte letztlich scheiterte. Die hierfür ver- wendete Literatur war bei der Erstellung dieses Kapitels hier z.T. noch nicht erschienen. Textli- che Überschneidungen waren dabei nicht in je- dem Fall vermeidbar.
<Einfügung Ende>
Der These von Jodls Stellvertreter Warlimont, ein weit ausgreifender Krieg hätte außerhalb der Möglichkeiten der Wehrmacht gelegen (S. 473 Anm. 90), ist entgegen Hillgrubers Zustimmung zu widersprechen. Vieles stellt sich als Problem der Vorbereitung dar, z.B. befanden sich bei Kriegseintritt der jeweiligen Mächte nur 42% der deutschen (S. 40), nur 33% der italienischen Handelsflotte (S. 128) in Heimathäfen.
<Änderung 15.03.2023>
Der bisherige Einschub: (geistig gesehen hat Warlimont natürlich Recht...) konnte nach Kenntnisnahme des von ihm verfassten Origi- nalwerks so nicht stehengelassen werden. Eine ausführliche, so am verwendeten Ort nicht üb- liche Stellungnahme befindet sich im Änder- ungsprotokoll zum Teil 6.
<Änderung Ende>
Eine durch die Angelsachsen unprovozierte In- volvierung Spaniens in den Krieg hätte nur die inneren Schwierigkeiten des [vom Bürgerkrieg noch ausgebluteten] Landes verschärft (S. 183ff), während ein konstruktiver Beitrag Spa- niens zur Kriegführung der Achsenmächte, au- ßer der Gestellung von Stützpunkten für die At- lantikkriegführung, nicht erkennbar ist (persön- liche Überlegung). Insofern waren Hitlers Forde-rungen an Spanien (S. 137f, 319) unsinnig, setz-
ten aber gleichzeitig das Agieren nach einer "Mit-
telmeer-Strategie" voraus. Dass eine Flottenak- tion gegen Gibraltar erfolgreich gewesen wäre, erklärte der amerikanische General Marshall Churchill und dem Gouverneur des Felsens mit Veweis auf die Inselfestung Corregidor in der Bucht von Manila, die wie Gibraltar über in das Gestein eingelassene Geschützstellungen ver- fügte. Diese wurden von der japanischen Schiffsartillerie dadurch ausgeschaltet, in dem sie darüber liegende Bereiche beschoss und die Geschütze der Verteidiger dadurch verschüt-
tete (Churchill, Literaturangabe 6. Kapitel im 5. Teil, S. 762. Dem Gouverneuer fiel nach Mar- shalls Worten die Kinnlade runter).
Hitler aber wollte sich Gibraltar ohne italienische Hilfe nehmen (S. 323), weil er sich auf die italie- nische Flotte nicht verlassen wollte (S. 325, was
er aber dann mit der Entsendung des Afrika- korps musste). So kam er um einen spanischen
Kriegsbeitrag nicht herum (S. 327, bzw. musste er den Plan der Eroberung Gibraltars aufgeben).
Eine britische Invasion der Iberischen Halbinsel aufgrund einer Festsetzung von Truppen der Achsenmächte in Marokko (S. 324f, 459) zu un-
terstellen halte ich für unrealistisch, denn dann hätten sich die logistischen Probleme sehr zu- ungunsten Großbritanniens ausgewirkt (das gilt auch für eine Besetzung Madeiras und der Ka- naren). Eine Mitsprache in Marokko außerhalb seines eigenen Gebiets (S. 186) ohne eigenen Kriegseintritt hätte sich Spanien jedenfalls ver- kneifen können.
Plänen sowohl für eine friedliche als auch eine gewaltsame Einbeziehung der Türkei (S. 342, 343, 381f) in eine Operationsführung im östli- chen Mittelmeerraum kann ich nichts abgewin- nen. Wesentliche Schwierigkeiten der Gewin- nung von Gebieten östlich des Suezkanals wä- ren gerade durch die Nichteinbeziehung der Türkei vermieden worden! (S. 345).
Auch Hillgruber stellt für den japanischen Kriegseintritt eine letztliche blanke Verzweif- lungstat aufgrund der aussichtslosen Kriegslage
in China fest (S. 117 [Tschiang Kai-schek wider- setzte sich der Möglichkeit eines für Japan ge- sichtswahrenden Kompromissfriedens, er mein-
te (zutreffend), langfristig mit einem Abnutz- ungskrieg, dem Japan nicht gewachsen sein würde, besser zu fahren]). Ohne den Krieg in China wäre Japan womöglich auf alliierter Seite in den Zweiten Weltkrieg eingetreten (meint Mar-
tin, S. 18).
Dass die USA zwangsläufig Japan den Krieg er-
klären würden, sollten diese unter Umgehung der Philippinen auf Südostasien zugreifen, ergab
zwar ein japanisches Planspiel (geschlossen aus ds., S. 132), dabei handelt es sich m.e. aber
um eine Fehleinschätzung. Weder waren die USA den europäischen Kolonialmächten zur Hilfeleistung vertraglich verpflichtet, noch hätte der Abschluss eines Beistandsvertrags ihren grundsätzlich antikolonialen Vorstellungen ent- sprochen (Professor Bernd Martin in einem persönlichen Brief an mich vom 08.01.1996). Besprechungen zwischen den USA, Großbri- tannien und der niederländisch-indischen Kolo- nialregierung zur gemeinsamen Verteidigung Südostasiens wurden zwar getätigt, blieben aber weitgehend erfolglos ([H] S. 408, Anm. 52,
Februar 1941, für die hier vorgeschlagene Pro- blematik außerdem zu spät). Japan musste zwar sicher mit einem US-amerikanischen Ein- greifen "rechnen" (S. 414), brauchte sich aber dennoch vorerst wenig Sorgen zu machen, denn ein solches war weder sicher noch überhaupt erfolgversprechend (siehe Haupttext links), weiter wäre die Verantwortung für den Krieg mit Japan den USA aufgebürdet worden, was die amerikanischen "Abwehrkräfte" (S. 563)
bestimmt nicht gefördert hätte, außerdem befan-
den sich die USA im Sommer 1940 mitten im Wahlkampf und waren somit abgelenkt. Japan erkannte nicht, dass seine Freihandpolitik ("sa- cro egoismo", S. 418) mit der Achse auch sich selbst schwächte. Eine Vorgehensweise ähn- lich der im Haupttext skizzerten wurde sogar deutscherseits (Raeder) entwickelt und an Ja- pan kommuniziert, wenn auch erfolglos und (Jahreswende 1940/41) viel zu spät (S. 415ff).
<Einfügung 18.06.2019>
Ansatzweise Vorstellungen dieser Art hatten in der Seekriegsleitung in Form eines Kriegsspiels bereits im Frühjahr 1939 kursiert (Salewski, S. 181)! Motivation und Kommunikation vorausge- setzt, stellt sich diese Strategie demnach kei- neswegs als nachweltlich-phantastisch dar!
<Einfügung Ende>
So benahmen sich die Achsenmächte der ei- genen, unabhängigen Handlungsmöglichkeiten. Bereits im Frühjahr/Frühsommer 1941 erlitten sie Niederlagen, die später nicht mehr wettzu- machen waren (Kapitulation der italienischen Ostafrika-Kolonie, Niederschlagung des Irak- Aufstands durch die Briten, Verlust der "Bis- marck"). Stattdessen erzeugte der Verzicht auf die Einnahme Nordwestafrikas die "offene Süd- westflanke" der "Festung Europa" (S. 334), der Verzicht auf die Ostmittelmeer-Option "eine La- ge, die den deutschen und europäischen Inte- ressen insgesamt höchst gefährlich ist." (S. 345, so Raeder am 27.12.1940).
Persönliche abschließende Überlegungen.
Albert Kesselring, Gedanken zum Zweiten Welt- krieg, Verlag S. Bublies, Schnellbach 2000 (Ersterscheinen 1955).
Lothar Gruchmann, Die "verpaßten strategi- schen Chancen" der Achsenmächte im Mittel- meerraum, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte,
Heft 4/1970, S. 456ff. Aus dem Internet herunter-
ladbar: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1970_4_7_gruchmann.pdf.
Bekanntlich musste fünf Tage nach "Nagasaki" noch ein schwerer konventioneller Bombenan- griff auf Tokio erfolgen, da weder Uran- noch Plutoniumbomben mehr vorhanden waren. Man kann bei einer hypothetischen Betrachtungswei- se einer vernünftigen Kriegführung der Achsen- mächte auch vom Aufbau ausreichender Luft- aufklärungs- und -abwehrmittel (das sogar im Anschluss an ein mögliches Zurückschlagen der westalliierten Bomberoffensive 1944 durch Einsatz von Strahljägern, siehe Exkurskapitel zu 7 - 2) ausgehen, sodass ein Einflugversuch einer großen und vergleichsweise langsamen Maschine, wie des einzig vorhandenen A-Waf- fen-Trägers Boeing B-29, wenig aussichtsreich erscheint. <Schlusssatz eingefügt 14.11.2017>