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Der strategische Unsinn der Defensive und die Defensive ohne Strategie - oder was Hitler wohl wirklich wollte

Mit dem vorangegangenen sechsten Teil dieser Arbeit sollte nachgewiesen sein, dass der Zweite Weltkrieg etwas ganz anderes war, als das er üblicherweise dar- gestellt wird, nämlich als der kaltblütig geplante Eroberungskrieg Hitlers, und der der anderen Achsenmächte in seinem Windschatten. Dabei liegt die die richtige Sichtweise darstellende Literatur längst vor, z.T. seit Jahrzehnten.

 

 

 

 

 

 

 

Die Kapitel "Moskau" und "Letzte Chance" haben gezeigt, dass Hitlers Kriegfüh- rung, wenn man sie positiv betrachtet, nichts als irrwitzig war. Daran würde auch der nun fällige Übergang zur  Defensive nichts ändern.

 

Der "Offensive um jeden Preis" soll an dieser Stelle selbverständlich nicht das Wort geredet werden, suggeriert doch der Ausdruck bereits die Blindheit des Vorgehens. Genau dagegen steht die Vorstellung von "Strategie", nämlich die des Vorgehens mit Überlegung, auch und gerade im Wüten des Krieges. "Offensive" oder "Defensive" anzuwenden hat daher der Überbrückung der Distanz zwischen  gewünschter und tatsächlicher Lage zu dienen.

 

Strategische Defensive ist demnach kein Unsinn an sich, sondern kann durchaus sinnvoll sein, wenn auch nur für eine Übergangsfrist. Der Möglichkeit, dass der  Gegner von selbst aufgibt, sollte man aber nicht vertrauen. So sehr Defensive überlegen scheinen mag, wenn man sich in der stärkeren Position befindet und angegriffen wird, so prekär ist Defensive, wenn man sich bereits in der schwä- cheren Position befindet. Einen Krieg kann man nur gewinnen, wenn man dem Gegner die Basis seiner Kriegführungsfähigkeit entzieht. Das geht nur in Form der Offensive. An dieser Stelle erscheint die an sich nicht vorhanden gewesene "Blitzkriegsstrategie" wieder: Als Schwächerer muss man in Gestalt blitzartiger Angriffe versuchen, den stärkeren Gegner entscheidend zu beeinträchtigen, bevor man sich selbst verbraucht.

 

Man wird sich allerdings erinnern, dass es den Druck der Ereignisse gar nicht brauchte, um Hitler in  die Defensive zu zwingen. Er tat diesen Schritt freiwillig! Also konnte bereits vor Ende des Kaukasusfeldzugs von Eroberungsdrang bei Hitler keine Rede mehr sein. Die Absurdität von Hitlers Argumentation musste dabei jedem auffallen. Nur ihm selbst nicht, so sollte man wenigstens meinen.

 

 

 

 

 

Im Zeitalter des Bewegungskriegs muss Defensive (hier angewandt im Bereich der Taktik, nicht der Strategie) vor allem flexibel sein. Das gilt für den militärisch Schwächeren ganz besonders, weil er ständig irgendwelche Löcher in der Front stopfen muss. Der  Gegner kann Einbrüche erzielen und Umfassungen bewerk- stelligen. Bewegliche Defensive, hier Gebiete aufgeben, dort wieder begrenzt of- fensiv vorgehen, hilft aus.

 

Aber genau das wollte Hitler nicht! Seinen  in Befehle gegossenen Vorstellungen nach hatte die Verteidigung nichts als starr zu halten!

 

Man fragt sich demnach, ob Hitler wirklich so blind sein konnte, dass er das De- saströse seiner Kriegführung nicht begriffen hat. Von einer "strategischen Defen- sive" kann so keine Rede sein, sondern man muss eine Defensive ohne Strategie als solche feststellen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Deutschland auf- grund seiner materiellen Unterlegenheit den Krieg sowieso verlieren musste, war diese für die z.T. katastrophalen militärischen Rückschläge 1943/44 weniger ur- sächlich, als  man normalerweise unterstellt, auch wenn sie im Kriegsverlauf im- mer mehr hervortrat.

 

 

 

 

Hitler hatte also keine Strategie. Er hatte nie eine, und entgegen dem, was ihm üblicherweise unterstellt wird, also auch keine aggressive Strategie. Im sechsten Teil sahen wir, dass er keine offensive Strategie hatte, und hier wird klar, dass er ebensowenig über eine defensive Strategie verfügte.

 

Man muss sich demnach weiter überlegen,  ob die Beurteilung von Hitlers Krieg- führung über die Konstatierung einer nicht vorhandenen Strategie hinaus etwa noch eine Stufe tiefer hinterfragt werden sollte. Erinnern wir uns: 1941 versuchte er, die Wehrmacht vor Moskau ins Verderben zu schicken. 1942 lenkte er den Angriff in die völlig falsche Richtung und verbot der 6. Armee den Ausbruch aus Stalingrad. Ab Herbst 1942 befahl er die absurde starre Verteidigung. Auch wenn seine Frontkommandeure sich nicht immer daran hielten, hat er ihren Waffen- erfolg dadurch entscheidend vereitelt.

 

Man wird den Gedanken nicht los, dass sich Hitlers "Strategie" in Wirklichkeit gegen die Wehrmacht und das deutsche Volk richtete. Der "Volksvernichter" Hitler wollte die Niederlage des Ersten Weltkriegs noch einmal herbeiführen, nur dieses Mal ohne Kapitulation, also total.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Natürlich war Hitlers militärische Idiotie seinen Generälen geläufig. Dennoch un- ternahmen die Wenigsten etwas dagegen, nur ein Bruchteil schloss sich dem Putschversuch des 20. Juli 1944 an. Andernorts unternommenen Begründungen dieses Verhaltens  fehlt es m.e. an Nachvollziehbarkeit, deshalb soll an dieser Stelle eine spekulative Erklärung angefügt werden.

 

Der Ostkrieg war das entscheidende Werkzeug zum Zusammenbruch der Nazi- herrschaft. Deshalb machten ihn die Generäle am Anfang kritiklos mit und oppo- nierten erst,  als sie sich gegenüber Hitlers "Feldherrenkünsten" profilieren konn- ten, was nicht zuletzt ihren Nachkriegslegendenbildungen diente. Soweit, ihn zu stürzen, gingen sie deshalb nicht, weil sie dann die Verantwortung für die katas- trophale Weiterführung des Krieges zu einem guten Teil hätten übernehmen müs- sen. Gleichzeitig konnte die Generalität Hitlers Kriegführung auch nicht wirklich sabotieren,  denn infolge ihrer Sabotage wäre die Niederlage nicht total, sondern "vermeidbar" gewesen. Es genügte, die Sache laufen zu lassen. DIESES  Pro- blem würde sich, in einiger Frist, tatsächlich von selbst lösen!

 

Hinter ihrem "verabsolutierten Gehorsam" konnten die Generäle  also ihre antina- zistische Subversion verstecken. Wozu sie aber nach dem Krieg eisern schwei- gen mussten,  denn sonst hätten sie offenbaren müssen, dass sie für die für die Befreiung vom Nazismus den militärischen Sieg, Deutschland als Idee und zahl- lose deutsche Leben geopfert hatten. Klar gab es daneben auch  die großflächige Billigung von Hitlers [anscheinend auf den Endsieg, verdeckt auf die Judenver- nichtung gerichteten] Zielen und Methoden, aber mehr im Volk als bei den Militärs. Diese Billigung stand aber einem Sieg ebenso entgegen wie die Anordnungen, auf die diese Billigung sich bezog.

 

Als Schlussfolgerung muss nun konstatiert werden, dass in der katastrophalen Niederlage Deutschlands drei unterschiedliche Bestrebungen konvergierten: die der Angelsachsen mit der endgültigen Ausschaltung des deutschen Machtstaates und damit der Verhinderung der deutsch-russischen Chimäre, die Hitlers im Ver- such der physischen und moralischen Vernichtung Deutschlands, und die der deutschen Generalität, für die die Niederlage die Voraussetzung für das letztend- liche Abstreifen der Naziherrschaft bedeutete.

In diesem Kapitel wird einiges an bereits be- kannter Literatur verwendet. Das große Werk Andreas Hillgrubers zu "Hitlers Strategie", (die Angaben zu den Quellen hier in Klammern, also zum vorstehenden: 5. Kapitel im 5. Teil, abge- kürzt [H1]), ebenso sein schmales Bändchen zur Strategie der großen Mächte (6. Kapitel im 5. Teil, abgekürzt [H2]), Manfred Rauhs III. Band (Einleitung, abgekürzt [R]), Bernd Wegners Ar- tikel "Krieg ohne Zukunft" (5. Kapitel im 6. Teil).

Neu hinzu kommen Erich von Manstein, Verlore-

ne Siege, Bernard & Graefe Verlag, Bonn 2000, und Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, Kindler Verlag GmbH, München 1978.

 

S. 4. u. 5. Kapitel im 6. Teil.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Strategische Defensive als Möglichkeit der Kriegführung für 1942 vorgeschlagen von Gene-

ral Halder, [R], S. 93 (s.a. 5. Kapitel im 6. Teil), 188.

 

 

 

 

Zur trotz anfänglichen "Blitzfeldzügen" inexisten-

ten "Blitzkriegsstrategie" s. 1. Kapitel im 6. Teil. Deren Unterstellung resultiert aus der zwingen- den Logik der vorangegangenen Überlegungen.

 

 

Darlegung s. 5. Kapitel im 6. Teil ("Führerbefehl" 08.09.1942, "Groß-Zitat").

Bereits mit dem Scheitern vor Moskau hatte Hit- ler intern den Krieg verloren gegeben (nach Aus-

führungen von General Jodl, [H1], S. 552f, [R], S. 185). Gerade, weil ihm nichts mehr einfiel, hätte er die oberste militärische Leitung besser einem erfahrenen Truppenführer übergeben. Dass er es dennoch nicht tat, lässt eine andere Interpretation als schlichte Unfähigkeit zu, s.u..

 

 

Unsinnigkeit von Hitlers Vorstellungen, sozusa- gen jeden einzelnen Quadratmeter Boden hal- ten zu wollen, [R], S. 207, 213. Für den "passi- ven Abwehrkampf", der offensichtlich eine höhe-

re Truppenkonzentration erforderte als der be- wegliche, war Mansteins (S. 514) Heeresgruppe

"zu schwach". Die noch absurdere Variante, gleichzeitig halten und zurückweichen zu wollen ("Führer will beides", ds., S. 512) gab es bei Hitler zusätzlich.

 

 

 

So Wegner, S. 30 (angezeigte PDF-S. 17), bes- tätigt von Andreas Kunz, S. 98, in Kriegsende

1945 in Deutschland, hrsg. v. Jörg Hillmann und John Zimmermann, R. Oldenbourg Verlag, Mün- chen 2002. Manstein formuliert das als "völlige operative Abhängigkeit vom Gegner" (S. 559).

Die Ablösung Mansteins erfolgte nicht wegen seiner Unbotmäßigkeit (s.u.), sondern weil die "Zeit der Operationen größeren Stils" im Osten "abgeschlossen" sei (ds., S. 615). Das bedeu- tet eben gerade nicht, dass Hitler (aufgrund feindlichen Drucks) nicht mehr operieren konn- te, sondern dass er nicht mehr operieren wollte.

 

Soweit Hitler überhaupt noch auf einen positiven

oder wenigstens glimpflichen Ausgang des Krie-

ges setzte, bezogen sich seine Überlegungen

auf einen hypothetischen Bruch der Gegnerkoa-

lition (H2, S. 112, 116). Dabei handelte es sich

aber um nichts als um Wunschdenken, nicht

um ein zu einer Strategie zählendes Kalkül.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die hier und in den beiden vorangegangenen Blöcken formulierten persönlichen Schlussfol- gerungen sollen auch dadurch unterstrichen werden, dass Hitler die für die Fortexistenz des deutschen Volkes überaus bedeutend scheinen-

de Ostfront trotz deren prekärer Lage im Mai/No-

vember 1943 durch Schwerpunktverlagerung auf den Westen bewusst schwächte (Wegner, S. 29f, angezeigte PDF-S. 16f, [H2], S. 133f, [R], S. 217). Dadurch sollte der roten Soldateska, die sich für die im deutschen Namen in Russland begangenen Verbrechen furchtbar rächen wür- de, entgegen den Bestrebungen der Wehrmacht (ds., S. 187) der Einbruch nach Deutschland er- möglicht werden.

Das ganz praktisch in der Form, dass Hitler für die Ardennenoffensive Ende 1944 die Ostfront hatte "bis auf das Skelett entblößen müssen" (Haffner, S. 191, als Interpretation der Vernich- tung Deutschlands durch Hitler S. 195f).

 

 

 

 

Selbst wenn man vom "verabsolutierten Gehor- sam" [H1, S. 530, Anm. 63] der Generalität aus- geht, ist dieser nur dahingehend zu verstehen, dass gegen Hitler nichts unternommen wurde. Von widerspruchslosem Hinnehmen seiner un- sinnigen Befehle kann überhaupt keine Rede sein, was Hitler sogar selbst anerkannte (Rein- hardt, Literaturangabe 4. Kapitel im 6. Teil, S. 233 Anm. 64). Die Werke von Rauh (überwie- gend bez. Halders) und Manstein sind voll mit Beispielen von Streitgesprächen der Stabs- und Truppenführer mit Hitler. Bei dem sich provo- ziert fühlenden Manstein ging das so weit, dass er einen Vortrag Hitlers mit einem Zwischenruf unterbrach (S. 580) [ungehörig, nicht wahr?]!