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Kapitulation und Kontinuität

Adolf Hitler, der Volksvernichter, hatte es soweit gebracht,  dass mit seinem Ende das Ende Deutschlands als Staat,  und nach seinem sowohl durch Zitate belegten wie aus seinen  Taten zu schlussfolgerndem Willen, auch das Ende der Deutschen als Volk unmittelbar bevorzustehen schien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seiner Doppelbödigkeit, die Hitlers gesamtes Wirken bereits von "Mein Kampf" an durchzieht,  blieb er noch am Schluss treu. Während er in seinem für Öffent-lichkeit und Nachwelt gedachten "Politischen Testament" den Kampf bis zum letz- ten Blutstropfen forderte, hatte er in Wirklichkeit für den Fall seines Ablebens bereits den Weg zur Kapitulation freigemacht. Ob die von  ihm zur Vernichtung vorgesehenen Deutschen zuvor noch kapitulierten, war denn auch schon egal.

 

In der Situation von Anfang Mai 1945 war jedem Beobachter, auch Hitlers Nach- folger Dönitz, klar, dass eine Fortsetzung der Kriegführung nicht mehr in Frage  kam. Anstatt aber sofort die Waffen niederzulegen, versuchte sich Dönitz noch an einem Kunststück, woran bereits Bismarck, Wilhelm II. und Hitler gescheitert wa- ren, und das erst den bundesrepublikanischen Kanzlern, Adenauer allen voran, gelingen sollte: die Bündnisbindung Deutschlands an die Westmächte. Ganz so aussichtlos, wie es die Situation des untergehenden, von einer Welt von Feinden umgebenen Deutschland suggeriert, war diese Möglichkeit nicht.

 

 

 

Denn insbesondere aus britischer Sicht schien nicht recht nachvollziehbar zu sein, warum der Zweite Weltkrieg es als offensichtlichste Folge haben sollte, die Sow- jetunion großzumachen. Und von der anderen Seite aus betrachtet, musste der Tod seines "alten Freundes" Roosevelt bei Sowjetführer Stalin einiges an Befürch- tungen und Irritationen auslösen. Würde Roosevelts Nachfolger Truman den Kurs seines Vorgängers unbeirrt fortsetzen? Die Möglichkeit, die Westmächte könnten die Kriegssituation und die bis dahin aufgelaufenen hohen sowjetischen Personal- verluste ausnutzen und sich mit Hilfe der letzten verbliebenen deutschen Truppen gegen ihn und sein Reich wenden, konnte Stalin jedenfalls nicht ausschließen.

 

Dem britischen Premierminister Churchill kam eine Zusammenarbeit mit den ge- schlagenen Deutschen zur Verhinderung eines weiteren sowjetischen Vormarschs nun auf einmal gelegen, wenn nicht sogar recht. Bereits im März hatte er Roose- velt aufgefordert, gemeinsam, vor den Sowjets, Berlin zu besetzen, der US-Präsi- dent hatte das jedoch abgelehnt. Dönitz sollte nach Churchills Vorstellung noch eine Weile amtieren, um bei Bedarf mit deutschen Truppen für die  Westalliierten unterstützend tätig werden zu können. Noch lange nach der deutschen Kapitula- tion, aber zur Zeit der noch amtierenden Regierung Dönitz,  beauftragte Churchill mit "Operation Unthinkable" einen Plan, unter Zuhilfenahme pfleglich zu behan- delnder deutscher Kriegsgefangener mit amerikanischen und britischen Truppen gegen die in Mitteleuropa stehenden Sowjets vorzugehen.

 

Wie dazu passend erscheint die Politik der Regierung Dönitz, in Form von "asym- metrischen Kapitulationen", scheibchenweise im Westen bei Fortsetzung des Kampfes im Osten, Zeit zu gewinnen und zwischen die Alliierten einen Keil zu trei- ben. Mit der häufig beschworenen Rettung von Zivilisten und Soldaten vor dem Zugriff der Roten Armee brachte man sie schließlich nicht nur in Sicherheit, son- dern auch in die Verfügung der Westmächte, damit diese sie für ihre Zwecke ein- setzen konnten und sich entsprechend einem Arrangement mit  Dönitz geneigt zeigen mochten. Die  noch weitgehend intakte Heeresgruppe Mitte  schien hierfür als Faustpfand dienen zu können.

 

Letzteres sah Stalin offensichtlich ähnlich. Berlin befand sich längst in seiner Hand, als er sich genötigt sah, seine Truppen in aller Eile gegen Prag zu wenden, um den "Faktor Schörner" im "politischen Spiel zwischen den Alliierten" auszu- schalten. Stalin konnte sich nicht sicher sein, ob die Deutschen wirklich kapitulie- ren wollten, und so ordnete er, die am 06.05.1945 ob des späten Datums absurd erscheinende, letzte große Offensive der Roten Armee in Europa an. Gleichzeitig gingen die inzwischen in Österreich etwas westlich von Wien stehenden Sowjet- truppen in Verteidigungsstellung. Einen respektablen deutschen Angriff mussten die Sowjets sicher nicht erwarten. Aber die Amerikaner waren auf österreichi- schem Gebiet ihrerseits vorgerückt...

 

Über die Haltung der Amerikaner hätte sich Stalin allerdings keine Sorgen ma- chen müssen. Mit ihrer Unnachgiebigkeit Churchill und Dönitz bzw. dessen Abge- sandten gegenüber sorgten sie für ein Ende aller Spekulationen über eine Fort- setzung des Krieges in Europa.

 

 

Zu einer anderweitigen Entscheidung wären die Amerikaner aber in jedem Fall in der Lage gewesen. Roosevelts Begründung der o.a. Ablehnung gegenüber Chur- chill mit notwendigen Truppenverschiebungen auf den fernöstlichen Kriegsschau- platz ist nicht mehr als eine unglaubwürdige Ausrede. Im Jahr 1945 waren die USA, im Gegensatz zu 1918, der bestimmende Faktor  in Europa.

 

Die Verklärung des alliierten Kampfs als antinazistischer Kreuzzug wird faden- scheinig, wenn man (in Übereinstimmung mit der Argumentation im Block zuvor) bedenkt, dass es die USA in der Hand gehabt hätten (oder wenigstens die Ziel- setzung hätte bestehen können), durch (wenigstens versuchsweise) rechtzeitige Unterstützung des deutschen Widerstands zum Sturze Hitlers und folgend ge- meinsamer deutsch-westlicher Kriegführung gegen die UdSSR  beide Unrechts- systeme gleichzeitig loszuwerden. Nachdem diese Richtung von den USA mit- nichten eingeschlagen wurde, muss man schlussfolgern, dass das Kriegsergeb- nis, so wie es eintrat, exakt den amerikanischen Vorstellungen entsprach.

 

Denn die Zusammenarbeit des Westens mit einem deutschen Machtstaat im Zen- trum Europas, egal welcher politischer Ausrichtung, hätte nach angelsächsischer Sichtweise in der Folge wieder das Zustandekommen der deutsch-russischen Chimäre ermöglicht. Eine Möglichkeit, die die Angelsachsen mit Hilfe zweier Welt- kriege erfolgreich ausschalteten.

Argumentation hierzu ausführlich im Vorkapitel.

 

Abweichend von der bisherigen Arbeitsweise kann im Zusammenhang mit der deutschen Ka- pitulation nicht auf das Sammelwerk "Das Deut- sche Reich und der Zweite Weltkrieg" verzichtet werden (DVA, München 2008), verwendet wer- den die beiden Halbbände des 10. Teils, hier ab- gekürzt mit [D-1] bzw. [D-2]. Da selbst in 10 Bänden, wobei wie der 10. mehr als einer zwei Halbbände benötigt, die historische Problematik des Zweiten Weltkriegs nicht erschöpfend wie- dergegeben werden kann, sehe ich etwaigen Widersprüchen zum Inhalt meiner bisherigen Arbeit gelassen entgegen. Sie sollen bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert wer- den.

Weiterhin wird in diesem Kapitel wieder der Band Kriegsende 1945 in Deutschland zugrunde

gelegt, Literaturhinweis siehe 1. Kapitel im 7. Teil, hier abgekürzt [K], daraus die Artikel von Heinrich Schwendemann (S. 9 - 33) und Jörg Hillmann (S. 35 - 65).   

 

 

 

 

 

 

[K], S. 40 (Schlussfolgerung persönlich).

 

 

 

 

 

 

Rekapitulieren wir die Kontinuität: Bismarcks Bündnisangebot an Salisbury in "Die vergesse- nen 1880er" im 1. Teil, untaugliche Versuche bei-

der Seiten zur Zeit Wilhelms in "Hätte Deutsch- land eine Alternative gehabt?" auch im 1. Teil. Der Bündniswunsch Hitlers zu Großbritannien ist allgemein bekannt (siehe insbesondere Buchbesprechung "Hofer" und 5. Kapitel im 5. Teil (dort Zitat Görings)).

 

An dieser Stelle vorgezogene Schlussfolgerung-

en aus den Folgeblöcken, Einschätzung Roo- sevelts persönlich, Details in  Buchbesprechung

"Hofer" im 5. Teil (Stichwort "Reputation").

Stalin hatte sich jedenfalls bei Roosevelt im März 1945 über die Möglichkeit eines westlichen

Frontwechsels heftig beschwert, nachdem er von Verhandlungen mit deutschen Vertretern in der Schweiz Wind bekommen hatte ([D-2], S. 312).

 

 

 

 

Ds., S. 313.

 

 

Ds., S. 320.

 

 

Ds., S. 316.

 

 

 

 

 

Begriffsbildung in Anführungszeichen persön- lich. Deutsches Kalkül der Kapitulation [K], S. 18, (folgende Zitate aus demselben Werk), des Arrangements mit dem Westen S. 28, wobei man über das Kriegsende hinaus mitbestimmen

wollte (S. 29). Ausdrücke "scheibchenweise" ds., "Keil" S. 22, "Faustpfand" S. 24.

 

 

 

 

 

Sowjetische Hektik beschrieben in Stanislav Ko-

koška, Prag im Mai 1945, Die Geschichte eines Aufstandes, S. 227f. Liegt im Internet als herun- terladbares PDF vor. https://is.cuni.cz/webapps/zzp/download/140036816.

Stalins Verunsicherung [K], S. 30, Ausschaltung

des "Faktors" Schörner (der die HG Mitte kom- mandierte) [D-1], S. 675.

"Rätselhaftes Verhalten" der Sowjets lt. Man- fried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich 1945, Amalthea Signum Verlag, Wien 2015, S. 235f, amerikanischer Vorstoß ds., S. 351ff.

 

Der amerikanische Oberbefehlshaber Eisenho- wer zeigte sich zu keinerlei antisowjetischem Konfrontationskurs bereit ([D-2], S. 315) und lehnte jede deutsche Separatkapitulation oder eine Zeitdifferenz zwischen "Waffenstillstand" und "Kapitulation" ab (ds., S. 318).

 

 

 

Roosevelts Positionierung ds., S. 313f, Bewer- tung persönlich.

Zur Situation 1918 siehe 6. Kapitel im 2. Teil.

Schlussfolgerung [sicher nicht nur] persönlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beispielsweise auch Ablehnung (ds., S. 371) er-

neuter französischer Zersplitterungsforderungen

Deutschlands (ds., S. 366) durch US-Militärgou- verneur Clay.

 

Mit den folgernden Zusammenfassungen dieses

und der zwei vorangegangenen Blöcke halte ich die Beweiskette dieser Arbeit für geschlossen.