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Im Krieg gelegte Grundlagen des Neubeginns

Entgegen allzu vereinfachten Vorstellungen muss ein "Untergang" nichts Endgül- tiges bedeuten. Das Wort ist zunächst eine Metapher,  abgebildet vom Versinken eines Schiffes, aber auch ein solches könnte gehoben werden oder aus uner- findlichen Gründen wieder auftauchen.

 

Nur das  Deutsche Reich als  Gebietskörperschaft versank endgültig in den Tiefen der historischen Umwälzung des Jahres 1945. Das deutsche Volk war und blieb vorhanden, und mit ihm alle seine geistigen und technischen Errungenschaften, die nur darauf warteten, neu eingesetzt zu werden, was nach einer relativ kurzen, eher als Hunger- denn als Durststrecke metaphorisch zu kennzeichnenden Perio- de auch geschah. So gesehen kann der Untergang, wenn das Wortspiel erlaubt ist, eher als geschmeidiger Übergang aufgefasst werden.

 

Im Gegensatz zu 1918 gab es 1945 an der Totalität der Niederlage nichts zu deu- teln. Total gestaltete sich auch der Bankrott des Nazisystems. Obgleich frühere Nazis einflussreich blieben, das Gedankengut des Nazismus hatte auf das neue politische Leben keinerlei Wirkung mehr. Die Deutschen streiften den Nazismus wie eine Larvenhaut ab (auch wenn sie die Vorexistenz als "Raupe" nie vergessen machen konnten und z.T. gottlob auch nicht wollten). Man darf dabei nicht  außer Acht lassen, dass der Untergang ja auch im Nazisinn positiv belegt war, weil man auf eine Wiedererstehung in völlig neuer Form hoffte. Die ereignete sich tatsäch- lich, auch wenn die neue Form, die der wirtschaftlichen Weltmacht, den Nazis nicht behagt hätte.

 

 

 

Im Rahmen dieser Arbeit war auf viele gleichzeitig bekannte und unbekannte Sachverhalte hinzuweisen. Unbekannt sind sie, weil das öffentlich-populär vertre- tene Bild sie nicht berücksichtigt. Bekannt sind sie, weil die jedem frei zugängli- chen Quellen bei gründlicher Betrachtung eine andere Sicht entstehen lassen. Das verhält sich beim deutschen Wiederaufstieg auch nicht anders als bei den sonstigen, in den Vorkapiteln behandelten Ereignissen. Denn im Gegensatz zu dem durch die Bombenschäden und die wirtschaftliche Notlage der Nachkriegs- zeit vermittelten Bild des mühsamen Wiederaufbaus aus der totalen Zertrüm- merung konnte Deutschland auf Investitionen zurückgreifen, die in der Zeit des Krieges bzw. unmittelbar zuvor getätigt worden waren.

 

Bis 1943 hatten die Anlageinvestitionen der deutschen Industrie ein bisher unbe- kanntes Volumen erreicht. Das industrielle Anlagevermögen wurde von Bomben-  angriffen und Demontagen nur in überschaubarem Ausmaß in Mitleidenschaft ge- zogen. Die Verluste an Werkzeugmaschinen der besonders von  Kriegsschäden betroffenen Kugellagerindustrie betrugen nur 15,9 %. Demontagen umfassten in der britisch-amerikanischen Bizone 4,4 % des Bruttoanlagevermögens von 1936. Arbeitskräftepotenzial und erhalten gebliebenes industrielles Anlagevermögen boten hervorragende Voraussetzungen für ein schnelles Wirtschaftswachstum nach dem Krieg. Auch der "Vater des Wirtschaftswunders" Ludwig Erhard ver- fasste seine bahnbrechende wirtschaftstheoretische Arbeit noch innerhalb der Nazizeit.

 

 

 

 

 

Dabei darf man nicht vergessen, dass ein großer Teil dieser Anlageinvestitionen durch Zwangsarbeit und Ausbeutung der im Krieg besetzten Gebiete zustande kam. Wenn das deutsche Wirtschaftswunder zu einem erheblichen Teil darauf basiert, darf die Frage gestellt werden, ob die Betroffenen ausreichend entschä- digt wurden. Infolge der Plünderung landwirtschaftlicher Ressourcen der unter- worfenen Gebiete außerhalb des Reichs konnten die meisten Deutschen wohlge- nährt in die Nachkriegszeit gehen. Erst in der Folge verschlechterte sich die Versorgungslage.

 

 

 

 

Bereits im Vorkapitel wurde die politische Kontinuität der Westanbindung thema- tisiert. In den sichergestellten Unterlagen der Dönitz-Regierung fand sich ein auf den 16.05.1945 datiertes Memorandum, das die Westalliierten vor der kommunis- tischen Unterwanderung Deutschlands warnen sollte. Nahtlos wurde sozusagen der "Ostkampf" in die Nachkriegspolitik übertragen, die Westalliierten würden alsbald darauf eingehen (es spielt keine Rolle, ob sie von dem Memorandum Kenntnis hatten, ihre Handlungen sprechen eine eigene Sprache).  Bis zur Ent- spannungsphase der 70er Jahre konnte man, die antikommunistische Propagan- da in Westdeutschland sich vergegenwärtigend, meinen, der Krieg gegen die Sowjetunion wäre noch in vollem Gange, es würde nur nicht geschossen (außer auf Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze, und nach 1970 änderte sich auch, bis zu Ende des Kalten Krieges, nur der Ton, nicht die Grundlinien der Politik).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So schmerzlich es sich  darstellt, sehe ich mich doch veranlasst, eine positive Be- ziehung zwischen dem Reichsende und dem Megaverbrechen der Judenvernich- tung zu ziehen. Ob die Deutschen  Niederlage, Zerstörungen, Vertreibungen und Gebietsverluste hätten ertragen, ohne zu akzeptieren, daran selbst schuld zu sein und in Form der Judenvernichtung die totale Diskreditierung ihres politischen Sys- tems und ihrer moralischen Basis zur Kenntnis nehmen zu müssen, bezweifle ich sehr. Die Selbstgerechtigkeit, in der der Geschlagene, aber nicht Vernichtete sich zu suhlen pflegt, war 1945, und lange darüber hinaus, genauso vorhanden wie 1918, konnte sich aber angesichts des Ausmaßes der deutschen Schuld keine Bahn mehr brechen.

 

Das Reich hatte seine Würde verloren, und nicht von ungefähr sollte die bundes- republikanische Verfassung genau an diesem Punkt anknüpfen. Das Nazitum, und diese Entwicklung hatte wohl schon früher eingesetzt,  kannte den Begriff der Würde nicht. Wenn auch ein Ehrbegriff kommuniziert wurde, kann es Ehre ohne Würde geben? Es gab also keinen positiven Reichsbegriff mehr. Die deutsche Selbstgerechtigkeit hüllte sich in Schweigen über die Vergangenheit, während sich das Volk allmählich fettfraß und die beiden Deutschländer nach und nach als neue Mindermächte in ihre jeweiligen politischen Blöcke integriert wurden. So  in etwa ging das Lebensgefühl der Deutschen von den späten 40ern in die 60er Jahre über, verbunden mit dem neuen Nationalstolz über die Riesen-Aufbau- leistung, das Wirtschaftswunder, das sozusagen den "Endsieg mit anderen Mitteln" darstellte.

 

In der Form dieser Arbeit war zu zeigen, welche Ursachen der deutschen Katas- trophe von 1945 zugrunde lagen. Die im Jahr 1839 begonnene Entwicklung war abgeschlossen, die Angelsachsen am Ziel angekommen (auch wenn sich für den europäischen Imperialismus noch ein kurzer Nachtrag anschließt, darauf soll im Epilog noch ein wenig Licht geworfen werden). Zu bedenken bitte ich, dass, wie in dieser Arbeit durchgängig argumentiert, sich das angelsächsiche aggressive Intrigenspiel nicht wirklich gegen Deutschland, auch nicht wirklich gegen Russland richtete, sondern gegen die theoretisch mögliche Verbindung der beiden, die Chimäre. Eine wirksame deutsch-russische Koalition war ab 1945 und ist bis heute nicht nur theoretisch ausgeschlossen, sie stellt(e) auch für die Angelsach- sen keine denkbare Bedrohung mehr dar. Deutschland wurde tatsächlich das, was Churchill sich vorgestellt hatte, "fett, aber impotent" (oder zumindest wenig potent), es stieg folgerichtig an der Seite der Angelsachsen zur wirtschaftlichen Weltmacht empor.

 

Soweit ich das angelsächsische Vorgehen richtig interpretiere, strebten und stre- ben sie nicht nach der "Weltherrschaft", denn eine solche würde sie als herr- schende Macht eindeutig identifizieren. Sondern ihr bereits 1945 erreichtes und seither verteidigtes Ziel ist die Weltvorherrschaft. Dazu können sie nicht allein herrschen, sondern brauchen, in Übereinstimmmung mit Admiral Mahans "Kartha- go-Theorie", echte oder künstliche "Gegner", mit denen sie, friedlich oder in Form begrenzter kriegerischer Auseinandersetzungen, permanent konkurrieren können.

 

Man mag nun diese Vorgehensweise verurteilen.  Dazu ist aber zu sagen, dass die angelsächsischen Strippenzieher immer genügend Marionetten fanden, die ihr Vorgehen klaglos mitmachten. Will man irgendwann dieses Spiel, das sich bis heute fortsetzt, durchkreuzen, sollte man auf gar keinen Fall gegen Völker, und vielleicht noch nicht einmal gegen "Systeme" vorgehen, sondern gegen Verant- wortliche, soweit sie sich identifizieren lassen.

Mit den einleitenden, ein Resümee ziehenden Bemerkungen der ersten drei Blöcke hier stehe ich sicher nicht allein.

Im Folgenden wird wieder auf den zweiten Halb- band des 10. Teils von "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" zurückgegriffen, Lite- raturhinweis im Vorkapitel, Zitate daraus abge- kürzt mit [D-2].

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Totalität war nichts anderem als dem Kampf bis zum absoluten Ende geschuldet, passte sowohl den Alliierten wie dem kurz vor Kriegsende hingerichteten Widerständler Hel- mut James Graf von Moltke ins Konzept ([D-2], S. 705, Moltke bereits anderweitig zitiert am Ende des 5. Kapitels im 5. Teil).

Romantische Vorstellungen des Wiedererste- hens in Form einer Übertragung der "Edda" z.B. durch die Ehefrau von Hitlers Privatsekretär Bor-

mann, Gerda, s. Fest, S. 36 (Literaturhinweis im

1. Kapitel dieses Teils, dort Kritik an Ähnlichem).

Hitlers Kritik an der Vorstellung eines "wirt- schaftsimperialistischen" Deutschlands 3. Kapi- tel im 3. Teil, 2. Abschnitt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angaben bei Werner Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland 1945 - 1948, DVA, Stuttgart 1975. Allgemein zu den (Brutto-)Anlageinvestiti- onen S. 116, zu Verlusten an Werkzeugmaschi- nen S. 117, Kapazitätsminderung durch Demon-

tagen S. 121, Schlussfolgerung ds..

Auch Eichholtz (s.u., S. 509 - 611 und 656 - 679)

sowie [D-2], S. 55 - 189, befassen sich intensiv mit der Problematik des im Krieg begonnenen wirtschaftlichen Übergangs in die Nachkriegs- phase. Erhards Denkschrift zur Vorbereitung der späteren deutschen Hartwährungspolitik vom April 1944 ds., S. 58.

Für Japan gilt im Übrigen Ähnliches. Nicht um-

sonst wurde der fähigste Munitionsminister des

kriegführenden Japan, Nobosuke Kishi, nach dem Krieg Ministerpräsident (Bernd Martin, Ja- pans Kriegswirtschaft 1941 - 1945, Literaturhin- weis 2. Kapitel im 6. Teil, S. 279).

 

"Eigentliche Verlierer" des Krieges waren für Eichholtz (Literaturhinweis 2. Kapitel im 6. Teil, Bd. III, S. 679) "Deutsche Arbeiter, [nicht selten verschleppte] Ausländer, Kriegsgefangene und Konzentrationslagerhäftlinge", also diejenigen, die das Fundament des Wirtschaftswunders geschaffen hatten.

Götz Aly beschäftigt sich in Hitlers Volksstaat, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2005, weitgehend mit der kriegsbedingten Ausbeutung des besetzten Europas durch das Deutsche Reich, ebenso mit der Enteignung der Juden bis hin zum Raubmord. Günstiger Ernährungs- zustand der Deutschen dort S. 206, 361f.

 

 

Denkschrift "Wir sind nicht am Ende, sondern in der Mitte eines großen Krieges" (gleichzeitig Schlusssatz) aus dem Zivilkabinett Dönitz in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 4/1996, S. 605ff, vorangestellt ein ausführlicher Komm- entar von Michael Buddrus. Sowohl Dönitz als auch der zum Reichskanzler nominierte Graf Schwerin von Krosigk wollten sich an den Ver- fasser Dr. Stellrecht, einen Ministerialrat, nach dem Krieg nicht erinnern (S. 610). Nicht klar wird, ob Dönitz und Schwerin je vom Inhalt der Denkschrift Kenntnis nahmen (S. 613f), bzw. Dönitz ihren Inhalt gegenüber seinen westalliier- ten Aufpassern kommunizierte (S. 615, insbes. Anm. 37), dafür spricht aber viel. Die Denk- schrift als solche, die ab S. 623 nur einen klei- nen Teil des Beitrags ausmacht, nimmt den späteren Schulterschluss von Deutschen, in- klusive Ex- und Altnazis (wie Stellrecht selbst) und Westalliierten vorweg. Man darf m.e. ge- trost annehmen, dass Stellrecht und andere sich entsprechende politische Gedanken be- reits einige Zeit vor Hitlers Ende machten.

Sonst persönliche Beobachtungen aus meiner Jugend.

 

 

Ausschließlich persönliche Überlegungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach Artikel 1 des Grundgesetzes ist die Würde

des Menschen unantastbar. Dieser überaus ge-

glückte Einstieg in die neue deutsche Verfas- sung (ob das Grundgesetz eine "Verfassung" ist oder nicht, muss an dieser Stelle nicht interess- ieren) beruht auf den üblen Erfahrungen der Na- zizeit und stellt die passende Erwiderung darauf

dar. Zu den Vorgängerströmungen des National- sozialismus 2. Kapitel im 4. Teil.

Folgend bis Ende persönliche Schlussfolgerung-

en und -betrachtungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausspruch Churchills, gefallen im Rahmen der "Atlantik-Charta", Dilks, Literaturhinweis 4. Kap- itel im 4. Teil, S. 402.

 

 

 

 

 

 

 

Karthago-Motiv s. Buchbesprechung zu Mahan im 1. Teil.