© Holger Bergmann 2015 - 2018

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Deutsche verstehen nichts von Geostrategie. Angelsachsen verstehen etwas da- von, verstehen aber nicht, dass Deutsche nichts davon verstehen. Dieses doppel- te Missverständnis bildete die  Grundlage für zwei Weltkriege.

 

Von Maßnahmen zur Absicherung der britischen Indienposition und der Garantie für Belgien im Jahre 1839 bis hin zum "fett, aber impotent" Nachkriegsdeutsch- lands zieht sich ein mehr als hundertjähriger  Bogen, der mit die größten, wenn nicht DIE größten Tragödien der Menschheitsgeschichte beinhaltet. Dass dieser Entwicklung eine verbundene Handlungslogik zugrunde liegt, ist normalerweise nicht bekannt, lässt sich aber aus zahlreichen, längst vorliegenden und meist anerkannten historischen Werken rekonstruieren.

 

Während dieses Zeitraums schufen die angelsächsischen Mächte Großbritanni- en und USA mit diplomatischen Kniffen und militärischer Gewalt eine machtpoliti- sche Weltsituation, in der sie nach ihren Vorstellungen die Vorrangstellung ein- nehmen, und die bis heute, ungeachtet der offenen oder unterschwelligen He- rausforderungen, denen sie sich gegenübersehen, fortexistiert. Es ist nicht abseh- bar, was diese angelsächsische Weltvorherrschaft ernsthaft gefährden sollte. Der historische Sowjetkommunismus war  dazu nicht wirklich in der Lage, und der islamische  Terror ist auch im Grunde nicht mehr als unangenehm.

 

Unangenehm für die Angelsachsen mochte auch die Entwicklung eines mächtigen deutschen Staates im Zentrum Europas während des 19. Jahrhunderts gewesen sein,  ebenso wie die Expansion des zaristisch-russischen Großreichs. Eine wirk- liche Gefahr für die Angelsachsen konnte aber von keinem dieser Gebilde alleine ausgehen,  schon deshalb nicht, da sie miteinander rivalisierten, oder es absehbar würden. Nur, wenn sie sich jemals miteinander verbinden sollten, konnte eine den Angelsachsen tatsächlich gefährliche Gegenmacht entstehen.

 

 

Dass diese Verbindung, die wir wegen ihres irrationalen Charakters "Chimäre" nennen, nie wirklich zur Debatte stand, spielte für die angelsächsische  Denk- und Vorgehensweise, an der sich über Dekaden und in Form einer Vielzahl von Akteu- ren nichts ändern sollte, keine Rolle. Es ging nicht darum, die deutsch-russische Verbindung zu verhindern, sondern ihre schiere Möglichkeit,  und exakt das wurde im Laufe der betrachteten Entwicklung erreicht. So ordnet sich eine große Anzahl historischer Ereignisse in  eine anderweitig höchstens rudimentär beschriebene Kontinuität ein, deren Vollständigkeit aufzuzeigen Sinn dieser Arbeit war.

 

Deutscherseits hat man nie verstanden, was da eigentlich passiert ist.  Deutsche sind nun einmal keine Weltpolitiker, zumindest ist mir kein Gegenbeispiel bekannt. Entsprechend entwickelte man auch kein Konzept, um das angelsächsiche Intri- genspiel zu durchkreuzen. Einen Weltmachtanspruch vertrat man höchstens ver- bal, aber entgegen anderweitigen Anschauungen tat  man nichts, um  ihn zu ver- wirklichen. Das hätte geschickte Diplomatie vorausgesetzt, und diese kann nicht festgestellt werden. Von den technischen Entwicklungen einmal abgesehen, machte die deutsche Kreativität gerade in dieser entscheidenden Phase Pause, was im Idiotensystem des Nationalsozialismus gipfelte. Am Ende konnte man deutscherseits froh sein, als Volk überlebt zu haben und die von den Angelsach- se zugedachte Stellung des "fett, aber impotent" einnehmen zu dürfen.

 

Die geeignete Methode, um die Chimäre zu vertreiben, bestand darin, ihre beiden Teile gegeneinander in den Krieg zu treiben. Wie die Angelsachsen dabei vorging- en, wird im ersten bzw. fünften Teil dieser Arbeit beschrieben. Dabei konnten sie latent vorhandene Konfliktlinien zwischen Deutschland und Russland ausnutzen.

 

Die Kriege auszulösen war dabei keine leichte Aufgabe, denn man musste hierzu erst in den Krieg führende Situationen schaffen. Dergestalt, dass zum Ersten Weltkrieg die Mittelmächte meinten, einen Einkreisungsring um sie entweder mit Gewalt sprengen oder dabei unterzugehen zu müssen,  zum Zweiten Weltkrieg die Reputation Adolf Hitlers bei einem Verzicht des Deutschen Reichs auf Krieg in einer Weise geschädigt worden wäre, dass sein unrühmlich-friedlicher Abgang unmittelbar bevorgestanden hätte. Folgerichtig verweigerte man sich angelsäch- sischerseits, sobald die Kriege erst einmal liefen, jedem möglichen Ausgleichsfrie- den mit Deutschland, was für den Ersten Weltkrieg nur mit angeblichen Erobe- rungsgelüsten Deutschlands gerechtfertigt werden konnte, während man den Zweiten Weltkrieg im Nachhinein als antinazistischen Kreuzzug verkaufen musste und infolge der von Nazideutschland zu verantwortenden Judenvernichtung auch konnte.

 

Für die kriegsauslösenden Situationen musste die Chimärenfurcht erst einmal als solche entstehen bzw. wieder entstehen, das angelsächsische Intrigenspiel muss- te in Gang gesetzt werden, und  Deutschland musste sich ungeschickt genug ver- halten, um das angelsächsische Ansinnen nicht zu be- oder verhindern. Diese Faktoren traten jeweils ein, Deutschland verstand und versteht bis heute nicht, was gespielt wurde. An "Willen" und "Vorstellung", einen nicht nur romantischen, sondern auch zum Überleben als Machtstaat notwendigen Weltmachtanspruch durchzusetzen, fehlte es in Deutschland entgegen anderweitigen Verlautbarungen ganz erheblich.

 

Die Beschreibung der o.a. Faktoren wird innerhalb dieser Arbeit in vielen Details unternommen und soll im Folgenden mit dem eigentlich nicht einlösbaren An- spruch auf Kürze unternommen werden.

 

Der erste und umfangreichste Teil dieser Arbeit umfasst den Zeitraum bis zum Kriegsausbruch 1914 und beschreibt mit "Kesseltreiben" die Herbeiführung der in den Ersten Weltkrieg führenden Situation. Angelsächsischerseits ist die Angele- genheit zunächst eine rein britische. Es geht darum, das Empire abzusichern. Dazu muss Großbritannien sich mit Nationen verbinden, die es in der Vergangen- heit (USA, Frankreich) oder anfangs des betracheteten Zeitraums (Russland im Krimkrieg, die Chimärenfurcht  ist da vielleicht erstmals aufgekommen, da die Kriegsteilnahme Preußens an der Seite Russlands zu drohen schien) kriegerisch bekämpfte, oder mit denen es wenig gemein hatte (Japan). Deutschland aber musste von Großbritannien zurückgewiesen werden.

 

Die Vereinigten Staaten brauchte  Großbritannien dabei nicht zu überzeugen, sie stiegen Mitter der 1890er Jahre mit einer eigenen Strategie in das britische Spiel ein,  wobei sie die Briten über das Druckmittel der praktisch unverteidigbaren ka- nadisch-amerikanischen Grenze zur Kooperation zwangen. Möglicherweise geht auch die Beschleunigung des in den Krieg führenden britischen Kurses auf diese neue Partnerschaft zurück.

 

In Europa arbeitete der deutsche Reichsgründer Bismarck den Briten in die Hän- de,  indem er zunächst Frankreich zum Krieg gegen Österreich entschädigungslos ausnutzte,  wobei er damit und mit dem folgenden Krieg gegen Frankreich, der zur deutschen Einigung führte,  was Frankreich auf  Dauer die Vorrangstellung in Westeuropa kostete, ein unstillbares französisches Rachebedürfnis erzeugte. Ebenso entfremdete sich Deutschland von Russland immer weiter, nachdem zunächst die russischen Dienste zur  Abschreckung Österreichs  während des Krieges gegen Frankreich in Anspruch genommen worden waren,  Russland dann aber auf dem Berliner Kongress hauptsächlich durch Bismarck um die Früchte seines Sieges über die Türkei gebracht wurde (wobei Österreich sich mit der russischen Hilfe gegen die Revolution und seiner Drohung mit dem Eintritt in den Krimkrieg ähnlich undankbar verhalten hatte). Großbritannien sollte diese im Grunde probritische Politik jedenfalls nicht goutieren. Bismarck  und seine Nachfolger setzten diese Politik gegen Russland (prinzipiell, wenn auch mit gewissen Schwankungen) fort, folgerichtig entstand das französisch-russische Bündnis. Dadurch und mit dem Zweibund zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn war jedoch ein stabiles Gleichgewicht in Europa entstanden. Großbritannien konnte nun Zünglein an der Waage spielen.

 

Mit einer Gleichgewichtspolitik in Europa, die strengste  Neutralität wahrt, hätte Großbritannien nun den Frieden sichern können. Aber dazu war es, nicht zuletzt auf amerikanischen Druck hin, nicht bereit. Stattdessen mussten, damit es zu ein- em deutsch-russischen Krieg kommen würde, zunächst Spannungen von periphe- ren Gebieten der Welt ab- und nach Europa umgeleitet werden, d.h. das russi- sche Expansionsbedürfnis musste in Asien frustriert werden, damit es sich gegen den Balkan richtete, wo sich die Interessenlinien der Mächte kreuzten.

 

Dazu diente "Weltkrieg 0", das kongruente Ausgreifen der angelsächsischen Mächte ab 1898, mit Japans Hilfe bis 1905 und einem abschließenden diplomati- schen Schachzug 1907:

Durch den Spanisch-Amerikanischen Krieg und die folgende Niederschlagung des philippinischen Aufstands sicherten sich die USA  einen Stützpunkt zum Eingreifen auf dem asiatischen Festland und verhinderten das Festsetzen fremder Mächte in der Karibik auf dem Weg zum im Bau befindlichen Panamakanal.

Mit Hilfe der Faschodakrise demonstrierten die Briten den Franzosen, dass deren Bündnis mit Russland nur gegen Deutschland taugte, nicht gegen Großbritannien.

In Form des Burenkriegs meinten die Briten, ein strategisches Festsetzen Deutschlands am Kap der Guten Hoffnung verhindern zu können und die Auf- merksamkeit der Mächte vorübergehend nach Ostasien zu lenken.

Dort, in China, sollte Deutschland gegen Russland vorgeschoben werden. Als Deutschland nicht mitmachte, wurde es zum direkten Ziel, gegen das sich die angelsächsische Politik richtete.

Mit Hilfe der "Venezuela-Aktion" konnte man Deutschland auf internationaler Bühne zum Buhmann machen.

Der scharfe angelsächsische (insbesondere US-amerikanische) Ton gegen Deutschland motivierte Frankreich zum  Abschluss der Entente cordiale mit Groß- britannien.

Indem man Japan zum (siegreichen) Krieg gegen Russland ermutigte (Bündnis mit Großbritannien, Kriegsschiffslieferungen) und Russland durch den Friedens- schluss auf amerikanischem Boden seine (anscheinend nur in Ostasien) aus- sichtlose Lage klar machte, lenkte man seine Interessen nach Europa  um. Dort würden die Angelsachsen und ihre Verbündeten Russland nicht entgegentreten.

In Form der Ersten Marokkokrise lieferte die Entente ein "erstes Probestück" ihres Zusammenhalts gegen die Mittelmächte.

Mit dem britisch-russischen Abkommen über Persien ist die Einschließung der Mittelmächte abgeschlossen.

 

Dass diese Entwicklung zwangsläufig in den Krieg mit Deutschland führen muss- te (gegen das ja eigentlich kein Kriegsgrund existierte, auch die deutsche Flotte war keiner), haben britische Politiker zu zahlreichen Gelegenheiten zugegeben. Nur der mangelnde russische Rüstungsstand nach der Niederlage gegen Japan schob den Krieg noch um einige Jahre hinaus, deshalb musste Großbritannien in den "Systematischen Krisen", die zur Terrorisierung der Mittelmächte dienten (den Angelsachsen kann hier keine Schuld der Auslösung zugeschoben werden, sie waren aber Folge ihrer Politik, gaben Großbritannien Gelegenheit zur Stellung- nahme und vertieften die Entente), immer wieder deeskalieren und so einen "vor- zeitigen" Kriegsausbruch verhindern.

 

Als 1914 Russlands Rüstungsstand aber auszureichen schien, konnte Großbri- tannien auf Eskalation schalten (Marineabkommen mit Russland als abschlie- ßendes Angriffsbündnis gegen die Mittelmächte,  ebenso Arrangement über Per- sien). Bereits Tage vor dem Attentat auf Franz Ferdinand und seine Gattin war die Kriegsgefahr in Europa mit Händen zu greifen.

 

Damit es aber tatsächlich zu mehr als einem begrenzten Krieg kam, an dem Großbritannien sich gegen die Mittelmächte beteiligen konnte, musste der briti- sche Außenminister Grey die Situation geschickt manipulieren. Schließlich konn- ten auch Russland und Frankreich sich der britischen Position nicht sicher sein, da kein wirkliches Bündnis mit Großbritannien existierte. Damit Frankreich und Russland harten Kurs fuhren, musste man ihnen Unterstützung signalisieren, man durfte aber auch nicht zu offensichtlich vorgehen, um Deutschland nicht vom Krieg abzuschrecken. Außerdem musste man einen eigenen Kriegsgrund konstruieren und Deutschland als Aggressor hinstellen.

 

Mit dem "persischen Arrangement" hatte man zunächst Russland des britischen Beistands versichert.

Frankreich tat ein Übriges.

Russland veranlasste Serbien, hart zu bleiben, und mobilisierte seine Truppen.

Deutschland würde aus letzterem einen Kriegsgrund konstruieren.

Großbritannien kann aber nur in den Krieg gegen Deutschland eintreten, wenn Deutschland Belgien angreift.

Großbritannien hält Frankreich zwischenzeitlich zurück, da dieses aufgrund sei- nes Bündnisses mit Russland zu früh angreifen und somit selbst als Aggressor dastehen könnte, überdies wären Großbritannien dann die Hände gebunden.

Großbritannien signalisiert Deutschland zunächst, dass es im Westen nicht zum Krieg kommen wird, und gibt sozusagen grünes Licht für die deutsche Kriegser- klärung an Russland.

Diese kommt, aber es gibt keinen deutschen Aufmarschplan in Richtung Osten.

Großbritannien muss abwarten, bis Belgien Verteidigungsbereitschaft meldet.

Großbritannien meldet nun an Deutschland, dass es doch im Westen zum Krieg kommen wird, mobilisiert seine Flotte und gibt Frankreich grünes Licht.

Deutschland wartet  auf eine französische Kriegserklärung. Als diese nicht kommt, gibt es seinerseits die Kriegserklärung an Frankreich ab, setzt  seinen westlichen Aufmarschplan um und  marschiert in Belgien ein.

Nun kann Großbritannien Deutschland den Krieg erklären, was es auch tut.

 

Ich behaupte, dass Deutschland auch dieses Mal vom Krieg Abstand genommen hätte, wären seitens der Entente Deeskalationssignale eingetroffen. Diese gab es aber nicht. Also schritt man deutscherseits zum Krieg, egal, ob diese Entschei- dung klug sein sollte oder nicht. Sie war es nicht. Wieder hatte man das britische Spiel mitgespielt und stand nun als Aggressor da.

 

Deutschland hatte nun die nicht gerade weise Entscheidung zum Krieg getroffen, nach der man auf die Welt- und historische Meinung keine  Rücksicht nahm und nur den Krieg der eigenen Bevölkerung verkaufen bzw. das Gesetz des Handelns an sich reißen wollte. Wenig später veranlasste Deutschland auch die Türkei zum Kriegseintritt und setzte damit mittelbar den Islamischen Heiligen Krieg in Gang, der sich heute virulenter auswirkt wirkt denn je zuvor.

 

Man war außerdem personell und materiell schlecht gerüstet, und der Kriegsplan, die Schlieffen-Moltke-Doktrin, stellte eher ein kaum nachvollziehbares va-banque- Spiel  denn ein sicheres Siegesrezept dar. Entsprechend ging der Plan auch nicht auf. Nachdem man eine Armee zu wenig im Feld hatte, um die Riesenfestung Pa- ris abzudecken, musste man sich in Frankreich trotz aller Anfangserfolge schließ- lich auf Verteidigungsstellungen zurückziehen (die noch heute häufige Behaupt- ung, die Marneschlacht wäre zu früh abgebrochen worden, stellt eine Fehlanalyse dar), und man verpasste den möglichen Durchbruch durch die Festungsfront in Lothringen.

 

Im weiteren  zeigte es sich  allerdings, dass man einem langen Kriegsverlauf durchaus gewachsen war. Zwischenzeitliche Siegmöglichkeiten verschenkte man jedoch, insbesondere hätte die zaristische Armee bereits viel früher  entscheidend geschlagen werden können. Aber man hoffte lieber auf eine Verhandlungslösung.

 

Schließlich war Russland so weit erschüttert, dass es aus dem Krieg auszuschei- den drohte. Das rief die USA auf den Plan, die deshalb, nicht wegen der "Lusita- nia", dem "Zimmermann-Telegramm" oder der Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs in den Krieg eintraten, wobei sie Großbritannien und Frankreich bereits zuvor großzügig unterstützt hatten. Entscheidend wirkte sich der amerika- nische Kriegseintritt entgegen allgemeiner Anschauung jedoch nicht aus, der am- erikanische Befehlshaber  General Pershing hielt seine Truppen wohlweislich aus größeren Kampfhandlungen heraus. Die deutsche Seite besiegte sich letzten Endes selbst, indem sie ihre verbliebenen Kräfte in sinnlosen "Abklopfoffensiven" verpulverte, anstatt sich das russische Potenzial zu unterwerfen und zunutze zu machen, dadurch auf dem französischen Kriegsschauplatz eine Übermacht zu er- zielen und diese im preußisch-traditionellen Schwerpunktangriff erfolgversprech- end einzusetzen.

 

So steuerte man in die Niederlage und berief sich vergeblich auf die Konzessions- bereitschaft des US-Präsidenten Wilson,  nachdem Großbritannien sich die deut- sche Flotte gesichert hatte, und eine amerikanische Drohung mit dem Frontwech- sel zu den Mittelmächten die Vorstellung der Chimäre hätte wiederaufleben las- sen. Wegen der noch mangelnden amerikanischen Flottenstärke konnte  Großbri- tannien die US-Soldaten in Europa sozusagen als Geiseln nehmen und einen Frieden nach seinen Vorstellungen durchsetzen (die französischen wären noch weiter gegangen und hätten die erneute Zersplitterung Deutschlands bedeutet, die USA erkannten "Versailles" schließlich nicht an). Vorübergehend schienen die Briten am Ziel angekommen zu sein: Deutschland und Russland aus dem Feld geschlagen, der amerikanische Einfluss gemindert,  einer französischen Hegemo- nie wirkt Deutschlands Fortexistenz als Einheitsstaat entgegen.

 

Großbritanniens Vorrangstellung sollte allerdings nicht lange vorhalten. Das ge- genüber den USA hochverschuldete Land musste auf der Washingtoner Flotten- konferenz 1922 maritimen Gleichstand mit den Amerikanern anerkennen. Japans Dienste wurden nicht länger gebraucht, Italien war mit dem Kriegsergebnis, für das es wenig getan hatte, unzufrieden, Frankreich versuchte sich hinter seiner  Maginot-Linie einzuigeln. Als dann Russland in Form der kommunistischen Sow- jetunion zu neuer Machtfülle emporstieg, meinte man offensichtlich, mit einer Wie- deraufrüstung Deutschlands dagegenhalten zu müssen.

 

Der neue Krieg sollte nicht über "Versailles" ausbrechen, sondern über dessen unvollständige Revision. Deutscherseits ist der Zweite Weltkrieg untrennbar mit dem Namen seines Diktators Adolf Hitler verbunden, der infolge der Kriegsnieder- lage des Ersten Weltkriegs die politische Bühne betrat.

 

Hitler wie seine Partei waren dabei Produkte der dem "Weimarer" Staat verbliebe- nen Streitkräfte, der Reichswehr, die damit auf die deutsche Gesellschaft Einfluss zu nehmen versuchten, was dann Teilen ihrer selbst, so weit sie Hitlers Aufstieg im Wege stehen sollten, oder auch insgesamt, wenn man die Niederlage des Zweiten Weltkriegs betrachtet, nicht gut bekommen sollte.

 

Dass Adolf Hitler schon nach eigenem Zeugnis verrückt war ("hysterisch"), Deut- schland hasste und zu vernichten suchte, hätte man bereits aus seinem Pamphlet "Mein Kampf" herauslesen können. Aber man ignorierte es und machte Hitler zum Kanzler, weil mit Hilfe seiner Bewegung die konservativen  Kräfte Deutschland zum autoritären Staat umgestalten wollten. Der rigorosen Machtgier Hitlers und seiner Nazis hatten sie aber dann, als es darauf angekommen wäre, nichts entge- genzusetzen.

 

Im vierten Teil dieser Arbeit wird beschrieben, wie durch die Ablehnung der Geis- tigkeit  Deutschland im kommenden Krieg in eine praktisch bewusste Niederlage trieb. Statt der häufig gepflegten Mär vom perfekt durchorganisierten Führerstaat herrschte in Wirklichkeit das Chaos. Nicht rationale Analyse, sondern Ressenti- menthaftigkeit bestimmte das Bild, nach der das Unglück nicht selbst verschuldet, sondern immer über ungeliebte Außenseiter, speziell "die Juden", über die edlen ("arischen") Teile der Bevölkerung kommt.

 

Man will es sich dabei bewusst einfach machen, sich das Nachdenken ersparen und die Zwänge der Kultur insgesamt überwinden, wodurch man sowohl zum Ver- brecher wird als auch sich  idiotischerweise um die militärischen Siegchancen bringt. Dabei bemerkt man nicht, dass man nicht nur selbst destruktive (oder man könnte sagen, "selbstdestruktive") Ressentiments wie den Antisemtismus verbrei- tet, sondern in Form des Antigermanismus seinerseits solchen, produziert von "rassisch Ähnlichen", zum Opfer fällt, wobei nicht der Nazismus, sondern der tra- ditionelle preußisch-deutsche Junkerstaat das Beschussziel der feindlichen Be- strebungen darstellt und die Chimärenfurcht wieder auflebt.

 

Die traditionelle Sichtweise des Wegs in den Zweiten Weltkrieg ist die, dass man Hitler per "Appeasement" ein Stück Land nach dem anderen zugeschustert hat, er aber nicht genug bekam, man ihm dann entgegentreten musste, und als er den- noch nicht von seinem Expansionskurs abließ, man gegen ihn Krieg führen muss- te.

 

Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings ein völlig anderes Bild als das obige, das fast nur von rechtsradikaler Seite hinterfragt wird, und das dann nicht über- zeugend. Tatsächlich wollte man Hitler erst in die Lage versetzen, überhaupt Krieg, und dann einen deutsch-sowjetischen Krieg zu beginnen. Grund hierfür war, wie eh und je, die Chimärenfurcht.

 

Im Gegensatz zur Einkreisungspolitik gegen das Deutsche Reich vor dem Ersten Weltkrieg glaubte man, Hitler erst einmal Verbündete zutreiben zu müssen. Des- halb verstieß man Italien und Japan aus dem Kreis der Siegermächte des  Ersten Weltkriegs, nachdem man zunächst ihren Kolonialaggressionen tatenlos zugese- hen, sie dann aber ausgepfiffen hatte, Italien war sogar von Frankreich noch zu seinem Vorgehen gegen Abessinien angestiftet worden. Folglich verbündeten sich Japan und Italien mit Deutschland, Italien duldete in der Folge des gemeinsamen Engagements in Spanien den Anschluss Österreichs an Deutschland.

 

Man hätte nun im Westen Hitlers Logik folgen  und ihn seinen Krieg gegen die Sowjetunion führen lassen können, um die Herrschaft der "arischen Rasse" zu etablieren. Nach angelsächsischer Logik hätte das aber wieder die Chimäre er- zeugt. Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion musste also gegen westliche Genehmigung stattfinden und mit der Niederlage Deutschlands enden. Der ameri- kanische Präsident Roosevelt suchte daher schon vor dem Krieg den Schulter- schluss mit dem sowjetischen Diktator Stalin.

 

Stalin wiederum wollte versuchen, aus einem Krieg der kapitalistischen Länder untereinander Kapital zu schlagen, und daher ermutigend auf Hitler zuzugehen. Als jener vom Westen frustriert wurde, meinte er, einen besonderen Coup landen zu können, und ging darauf ein.

 

Der Charakter des Appeasements wird deshalb missverstanden, weil man unter- stellt, man hätte damit Hitlers Vorwärtsdrang moderieren und dadurch den Frieden erhalten wollen, wenn auch letzten Endes vergeblich, weil Hitler geschlossene Vereinbarungen ("München") ja doch brechen würde. In Wirklichkeit hat man Hit- ler britischerseits erst in Gang gesetzt. Im November 1937 war der britische Lord- siegelbewahrer Halifax (später als Außenminister einer der wesentlichen Appea- ser) bei Hitler erschienen und hatte ihm ein Gesamtrevirement, unter Einschluss Danzigs und der Tschechoslowakei (nicht nur der Sudetengebiete) in Aussicht gestellt. Daraus folgte jedoch keine Aktion seitens Hitlers. Also sorgte man mit der vom britischen  Geheimdienst angestoßenen Mai-Krise dafür, dass Hitler die Tschechoslowakei nun fest in den Fokus nahm.

 

Hinter britische und französische Presseartikel, die Anfang September 1938 die Aufteilung der Tschechoslowakei in Aussicht stellten, konnte Hitler auf dem fol- genden Reichsparteitag nicht zurück. Das Ergebnis von "München" stand also schon vorher fest. Da es sich mit dem Bruch des Münchner Abkommens derge- stalt verhielt, dass Deutschland auf tschechischen Wunsch als Ordnungsmacht auftrat, hätte man es westlicherseits auch dabei belassen können, viel hätte auch nicht gefehlt. Aber aus Amerika drohte nun Roosevelt, er würde den Briten die Unterstützung entziehen, würden sie den Nazis auch nur einen weiteren diploma- tischen Triumph ermöglichen. Nun standen die Zeichen auf erneute Konfrontation in Europa. Der Sinn, die Tschechoslowakei zu zerschlagen, Polen aber eine (letz- ten Endes wertlose) Garantie zu geben, erschließt sich nur, wenn man dieses  Vorgehen als Kriegskurs der Appeaser begreift.

 

Eine alsbaldige Lösung des Problems um Danzig und den Korridor wäre auch nicht nötig gewesen, hätten die Polen nicht ihrerseits versucht, sich in Danzig breitzumachen, und das in der bereits vorhandenen Spannungssituation. Die eu- ropäischen Westmächte hätten aber auch mit der Sowjetunion ein Deutschland abschreckendes Abkommen schließen können, Großbritannien ließ aber die dazu dienenden  Verhandlungen platzen. Letztlich hätte man auch Deutschlands sehr maßvolle Forderungen erfüllen können. Das wäre Polen auch zuzumuten gewe- sen, bedenkt man die Zumutungen, denen Polen  über die nächsten Jahrzehnte infolge der Nazi- und kommunistischen Herrrschaft ausgesetzt war. Großbritanni- en täuschte aber wirkliche polnische Verhandlungsbereitschaft nur vor, Polen be- wegte sich nicht. Hitler konnte nur noch zwischen Gesichtsverlust und Krieg wäh- len, absehbar bevorzugte er letzteren.

 

Um die persönlichen Beiträge von Franklin D. Roosevelt, Neville Chamberlain und Jozef Beck zum Kriegsausbruch noch klarer darzustellen, wurde ein zusätzliches Literaturbesprechungskapitel erstellt.

 

Ein Verhandlungsfrieden kam für Großbritannien nicht in Frage, weder vor noch nach der französischen Niederlage, weder mit noch ohne Hitler (nach einem Sturz durch die deutsche Opposition).  Denn es ging gegen Deutschland als Ganzes, nicht nur gegen die Nazis. Nach dem Ende von deren Herrschaft wären ja wieder die preußischen Junker an die Macht gelangt, mit denen man sich ja auf gar kei- nen Fall arrangieren wollte. Hitler sah in der absurden, äußerlich glänzenden, tat- sächlich aber ausweglosen strategischen Situation, da nach dem Fall Frank- reichs über kurz oder lang der Kriegseintritt der USA drohte, nur den absurden Ausweg des Angriffs auf die Sowjetunion.

 

Die USA wiederum verhielten sich  anfangs des Zweiten Weltkriegs genauso wen- ig neutral wie vor ihrem Eintritt in den Ersten Weltkrieg. Stattdessen führten sie praktisch von  Beginn an, insbesondere durch maritime Kooperation mit  Großbri- tannien sowie mit Unterstützungsabkommen bzw. darauf basierenden  Nach- schublieferungen, einen unerklärten Krieg gegen Deutschland bis hin  zum Waf- fengebrauch. Über Embargomaßnahmen zwangen sie Japan in den Krieg und er- zwangen damit ihren eigenen Kriegseintritt.

 

Die in den Zweiten Weltkrieg führenden Ereignisse zeigen, dass von einem gut geplanten Eroberungskrieg durch die Achsenmächte überhaupt keine Rede sein konnte. Deren materielle Rüstung war, wie die der Mittelmächte vor dem Ersten Weltkrieg, nicht ausreichend. Eine koordinierte Koalitionskriegführung gab es nicht. Diese hätte auf einer abgestimmten Strategie basieren müssen, die es  eb- ensowenig gab, die aber möglich war. Mit einer Serie von  Blitzkriegen wäre außer den Niederlagen Polens und Frankreichs auch das überstreckte britische Empire, zumindest was die strategisch wichtigen Punkte im Mittelmeer, in Vorder- und Südostasien angeht, einem  gemeinschaftlichen Angriff der Achsenmächte nicht gewachsen gewesen. Diese hätten sich danach auch gleichzeitig von Westen und Osten gegen die Sowjetunion wenden können. Mit dem gesamten Potenzial Eu- rasiens im Rücken wäre ein für die USA nur sehr schwer zu besiegender Block entstanden.

 

Die sehr unfangreiche, zum Zweiten Weltkrieg vorliegende Literatur fokussiert sel- ten auf die  magelhafte strategische Kriegführung der Achsenmächte, und wenn, dann unvollständig. Die unhinterfragte Betrachtung der Kriegsereignisse liefert aber keinen Schlüssel zur letztendlichen Niederlage der Achsenmächte, wenn man die beträchtlichen Anfangserfolge Deutschlands und  Japans berücksichtigt. Eine feindliche Übermacht zu konstatieren ist deshalb zu simpel argumentiert. Die Achsenmächte fielen dieser erst dann  zum Opfer, als sie selbst schon die Weich- en komplett falsch gestellt hatten.

 

So war es nicht nur prinzipiell illusorisch, die britische Luftverteidigung innerhalb von 4 Wochen oder weniger komplett niederringen zu wollen. Vielmehr war eine Landung in England gar nicht wirklich beabsichtigt, Hitler wollte auf das britische Empire als "Verbündeten" nicht verzichten, was eine antibritische Strategie von vornherein verunmöglichte. Der "Barbarossa" titulierte Russlandfeldzug 1941 scheiterte nicht an den klimatischen Gegebenheiten, der mangelnden Logistik oder am gegnerischen Widerstand, sondern daran, dass man ihn unbedingt in einem Stück durchziehen wollte. 1942 hätten gute Chancen bestanden, noch ein- mal, und entscheidend, gegen Moskau vorzugehen, und selbst 1943 hätten unter den Bedingungen Vollmobilisierung, Bewegungskrieg und großflächiger Angriff durchaus noch Erfolgsmöglichkeiten bestanden, wenn man Hitler rechtzeitig be- seitigt hätte. Der war aber schon im September 1942 ganz offen zur starren Ver- teidigungskriegführung des Ersten Weltkriegs übergegangen und beraubte sich so aller Möglichkeiten der modernen Kriegführung. Die Folgen sind bekannt.

 

Hitler wurde also nicht in die  Defensive gezwungen, sondern er wählte sie selbst. Dabei handelte es sich also nicht um Strategie, sondern um selbstzerstörerische  Idiotie. Weiter wird im siebten Teil dieser Arbeit eine Erklärung (entgegen häufig- er Fehlanalysen) für das Versagen der deutschen Tag-Jägerwaffe 1944 geliefert, ebenso kann entgegen oft anderslautender Argumentation die Zweckmäßigkeit des Düsenjägers Messerschmitt Me 262 nachgewiesen werden. Schließlich wird der häufig kolportierten Vorstellung vom Wehrmachtssoldaten als perfekter Kampfmaschine in seiner angeblichen Kombination aus Nazi-Fanatismus und ei- serner Disziplin mit Gegenbeispielen entgegengetreten.

 

Zu Beginn des achten Teils wird noch einmal mit zahlreichen Zitaten Hitlers An- sinnen, den Krieg zu verlieren und Deutschland zu vernichten, dokumentiert. So- dann wird dargestellt, dass auch Hitlers Nachfolger Dönitz sich in die lange Reihe von Versuchen einreiht, zu einem Schulterschluss mit den Westmächten zu kom- men, was erst der bundesdeutschen Regierung gelingen sollte, wobei aber, bis heute, auf einen Status besonderer Machtentfaltung [erzwungenermaßen] ver- zichtet wird. Die Möglichkeit, mit "restdeutscher" Hilfe auch das sowjetkommunis- tische Unrechtssystem zu beseitigen, wurde von den Westmächten ausgelassen,  was nach den hier gewonnenen Erkenntnissen gewiss mit kontinuierlicher Chi- märenfurcht  zu tun hat. Am Ende, so konnte gezeigt werden, erwuchs der fette Teil von "fett, aber impotent", in dessen Verkörperung West-Nachkriegsdeutsch- land wie ein Phönix aus der Asche zu wirtschaftlicher Weltmacht emporstieg, auf im Krieg gelegten Grundlagen.

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